Umberto Eco: "Nullnummer" - Einführung in die Manipulation

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Umberto Eco, Experte für Fälschungen und Verschwörungen, schaut in seinem Roman "Nullnummer" der Zeitungsbranche auf die Finger.

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Umberto Eco, Experte für Fälschungen und Verschwörungen, schaut in seinem Roman "Nullnummer" der Zeitungsbranche auf die Finger.

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Die Idee ist genial und rückt die Manipulationsmacht der Medien ins Licht: Eine Zeitung wird erfunden, zwölf Nullnummern sollen entworfen werden. Ausschließlich bestimmte Personen sollen sie zu sehen bekommen. Erscheinen soll diese Zeitung nie, denn es geht nicht darum, eine möglichst breite Leserschaft mit Informationen zu versorgen, sondern um Erpressung durch Andeutung, nach dem Motto: Wenn wir wollen, können wir noch viel mehr ausplaudern.

Bulletins als Drohmittel

Umberto Eco, der Experte für offene Kunstwerke und Fälschungen, für Verschwörungstheorien und Komplotte, für Listen und Legenden, hat mit seinem jüngsten Werk "Nullnummer" nicht seinen besten Roman vorgelegt. Aber die Idee, die seinem Text zugrunde liegt, ist bestrickend. Und gar nicht so fiktiv - wie überhaupt Fiktionen zwar die Historie prägen, Wirklichkeiten die Fiktionen aber in Sachen Ungeheuerlichkeit oft übersteigen. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte ein gewisser Pecorelli Bulletins herausgegeben, die er nur bestimmten Politikern zukommen ließ, als Erpressung - bis er dann ermordet wurde.

Wer anderen mit Informationen indirekt droht, lebt gefährlich. Die reale Vorlage bietet also einen perfekten Stoff für einen Kriminalroman. So weit, so krimigut. Spannend beginnt der Text auch, wenn der Journalist Colonna eines Morgens merkt, dass in der Nacht sein Wasserhahn abgedreht worden ist. Irgendjemand war in der Wohnung und hat irgendetwas gesucht. Dann beginnt die Rückblende auf die vergangenen Monate des Jahres 1992.

Das erzählende 50-jährige Ich, als Doktorand einst gescheitert, verdiente sich als Übersetzer und Ghostwriter sein Brot und wurde nun beauftragt, den fiktiven Bericht über ein Jahr Arbeit am Aufbau einer Zeitung zu schreiben. Finanziert wird Domani, wie diese Zeitung heißt, die es nie geben wird, von Commendatore Vimercate, der nie in Erscheinung treten wird und dennoch ständig präsent ist. Denn was seinem Interesse zuwiderläuft, darf selbstverständlich nicht veröffentlicht werden. Sagt sein Sprachrohr, der Chefredakteur.

Dieser Commendatore kontrolliert Hotels, TV-Stationen und Magazine. Ein Medien-Imperium. Anklänge an Berlusconi sind überdeutlich, wenngleich man durchaus auch andere Gestalten in ihm sehen kann. Vimercate möchte in den Salon der Finanzwelt gebeten werden - als Eintrittkarte bietet er das Versprechen einer neuen Zeitung, "die keine Scheu hat, die ganze Wahrheit zu sagen." Mit ihr will er, heißt es -ihn selbst hören wir ja nie -, beweisen, dass er diesen Salon in Schwierigkeiten bringen könnte. Er will daraufhin gebeten werden, auf die Idee der Zeitung zu verzichten und statt dessen in den Club der Wichtigen einzutreten.

Das Buch hingegen, das der Ich-Erzähler als Ghostwriter zu schreiben beauftragt ist, soll "die Idee einer anderen Art von Zeitung beschwören", es soll zeigen, wie sich der Chefredakteur ein Jahr lang bemüht hat, "ein Beispiel für unabhängigen Journalismus zu geben". Das Buch soll also das Gegenteil sagen von dem, was geschehen wird. Als Absicherung des Chefredakteurs, als mögliches Mittel der Drohung.

Fälschungen über Fälschungen also - willkommen in der Welt von Umberto Eco, der mit der Figur des Braggadocio, der alle Gewissheiten verloren hat, außer der, "dass wir immer jemanden hinter uns haben, der uns betrügen will", zudem einen ebenso investigativen wie fantasievollen Journalisten zeichnet, der für die Geschichten in der Geschichte sorgt. So hat Mussolini angeblich überlebt, und zwar in Argentinien (allegorisch sei diese Version zu verstehen, sagte Eco in einem Interview, als Überleben von Mussolinis Ideen).

Gefährlich für Braggadocio wird es, als er über die Geheimorganisation Gladio recherchiert. Über diese Organisation, die einer sowjetischen Invasion entgegenarbeiten sollte, erschien 1992 eine BBC-Dokumentation, die aufzeigte, dass Gladio unter anderem von CIA und Nato gesteuert wurde und für Terroranschläge der 60er und 70er Jahre verantwortlich gewesen sein soll. Doch die veröffentlichten Ungeheuerlichkeiten trugen erstaunlicherweise nicht dazu bei, die Gesellschaft aufzuregen.

Blick in Skandalblattredaktion

Erzählt wird viel in Dialogen. Was da gesagt wird, blättert so manche Medienmachart auf und gilt nicht nur fürs Jahr 1992, sondern auch für die Gegenwart. Man blickt in die Redaktionssitzungen und liest Gespräche der Journalisten, denen Eco die Namen von Schrifttypen gegeben hat. Da heißt es, dass die Zeitung bloß nicht zu intellektuell sein darf, sondern die Sprache der normalen Leser sprechen soll, die bekanntlich alle begierig auf Klatsch und Enthüllungen sind. Man hört von der Tendenz, dass Tageszeitungen immer mehr den Wochenzeitungen ähneln, dass die jungen Leser verloren gehen und wie die Sprache in Zeitungen verkommt.

Stellenweise lesen sich die Gespräche in der Redaktion wie Teile eines Handbuches für Manipulation. So erfährt man, wie man Meldungen so platziert, dass sie in Summe eine eigene Geschichte erzählen, wie man mit Hypothesen und Spekulationen arbeitet und mit Tatsachen Meinungen insinuiert. "Insinuieren heißt nicht, etwas Bestimmtes zu behaupten, es dient nur dazu, einen Schatten von Verdacht auf den Beschwerdeführer zu werfen." Vorgestellt wird auch die Methode, eine Anklage zu entkräften, indem der Ankläger diskreditiert wird.

Mehrere gute Romanideen verbergen sich in dem für einen Autor wie Eco mit 231 Seiten relativ kurzen Text. Doch leider sind die Themen interessanter als die literarische Ausführung. Als Krimi überzeugt dieser Roman nicht, und auch Liebesgeschichten wurden schon besser und differenzierter erzählt. Schade, denn die Themen sind, obwohl im Jahr 1992 angesiedelt, hochaktuell und gesellschaftspolitisch brisant. Umberto Eco hat sich stets als aufmerksamer Zeitgenosse eingebracht, sei es als Wissenschaftler, sei es als journalistisch Schreibender oder eben als Romanautor. Als solcher erzählt er hier, dass die Wirklichkeit das Erfundene übersteigt und dass der Sinn für die Scham verloren gegangen ist: "Korruption ist autorisiert, die Mafia offiziell im Parlament, der Steuerhinterzieher an der Regierung, und im Gefängnis sitzen nur die albanischen Hühnerdiebe. Die guten Bürger stimmen weiter für die Gauner ..."

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