Thema: Sexueller Missbrauch
Meine Zeitgesprächspartner/ -innen haben nur zu Recht: Dass die katholische Kirche „das Ausblenden unangenehmer Wahrheiten fast zu einer Kunstform entwickelt“ hat (Homolka), dass Religionen nicht dazu da sind, „um Menschen im Namen der Religion zu privilegieren“ (Khorchide), dass über die antike Philosophie ein übler Hierarchismus ins Christentum eingewandert ist, der „zwischen höheren, geistigen, männlichen und niederen, körperlichen, weiblichen Sphären unterscheidet“ (Praetorius). Und ich könnte hinzufügen: Dass just dort, wo die katholische Kirche ihre Macht noch einmal zu stabilisieren suchte, am Körper und seinen sexuellen Praktiken, sie am dramatischsten gescheitert ist, ein Muster, das im 18. Jahrhundert gegenüber der Naturwissenschaft und im 19. Jahrhundert gegenüber der Gesellschaft schon einmal zu beobachten war.
Aber dann habe ich mir vorgestellt, dass eine unserer Töchter von einem Priester missbraucht worden wäre. Und dass herauskommt, was er gemacht hat, und man glaubt weder meiner Tochter noch mir, beschwichtigt, relativiert, weicht aus. Bis vor Kurzem war das so. „Anstatt dass meine Kirche mich unterstützte, schützte sie meinen Peiniger“ – so ein Opfer.
„Selig die Armen, denn ihrer ist die Gottesherrschaft. Selig die Hungernden, denn sie werden gesättigt werden. Selig die Weinenden, denn sie werden lachen“ (Lk 6,20b-21). Das ist der Gerichtsspruch über die Kirche.
Woran glaubt eine Kirche, die die Opfer zum Schweigen bringt? Niemand kann dieser Frage ausweichen, auch die Laien nicht. Aber wir beanspruchen auch nicht diese erhabene Perspektive auf die anderen, die der Klerus so lange beanspruchte. An der wird die Kirche zu Grunde gehen. Es gilt: Umkehr zu den Armen, Weinenden, oder Untergang: geistlich, und irgendwann auch institutionell.
* Der Autor ist Pastoraltheologe an der Kath.-Theol. Fakultät Graz
