Umkehr, Vergebung, Reform

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"Zero Tolerance" - unnachgiebige Härte gegen pädophile Kleriker ist eine typische Forderung der amerikanischen Mediengesellschaft. Das Problem löst diese Politik keineswegs.

Mit einer schlichten Albe und einer violetten Buß-Stola bekleidet trat der Erzbischof ans Pult. In einer achtminütigen Predigt bat er die anwesende Gemeinde und das via TV versammelte Publikum fünf Mal um Entschuldigung: Er habe durch seine "Sündhaftigkeit" - vor Jahren eine "unziemliche" Beziehung zu einem Mann und 1998 eine horrende Abfindungszahlung für dessen Schweigen - das Vertrauen der Gläubigen missbraucht. Danach kniete Rembert Weakland an diesem 30. Mai (einige Tage zuvor war er als Erzbischof von Milwaukee zurückgetreten) nieder, und der anwesende Diakon sowie die ganze Gemeinde hielten die Hände in Richtung des Knienden und beteten mit ihm um Vergebung.

Für europäische Augen schien diese Bußfeier eines Erzbischofs fast undenkbar. Ebenso fast undenkbar waren andere Bilder, die während der letzten Monate in vielen US-Nachrichtensendungen zu sehen waren: katholische Priester, des Missbrauchs an Kindern beschuldigt, in Handschellen zur Untersuchungshaft abgeführt.

Die geschilderten Szenarien zeigen - obwohl eigentlich nicht vergleichbar - zwei Pole des Umgangs von Kirche wie von Gesellschaft mit Verfehlungen: Im Fall des liberalen Erzbischofs Weakland war es eine Jahre alte, vertuschte Affäre mit einem Erwachsenen; bei den Missbrauchs-Causen geht es um Verbrechen an Kindern. "Zero Tolerance" - unnachsichtige Bestrafung in jedem Fall und zu jeder Zeit, ist bei letzteren das Schlagwort, die Enfernung der Täter aus dem Priesteramt wird gefordert; die katholischen Bischöfe der USA schlossen sich vor wenigen Tagen solchen Ansinnen weitgehend an.

Vergebung - das andere Wort, das etwa Erzbischof Weakland so berührend erflehte, kommt aber derzeit nicht an erster Stelle. Wie sollte sie auch, wo der Skandal längst nicht ausgestanden ist und immer noch neue, lang verleugnete Verdächtigungen und Beweise ans Tageslicht kommen? In den USA hat die Aufdeckung sexuellen Missbrauchs im Schoß der Kirche eine beschämende Aktualität.

Und die Forderung "Zero Tolerance" führen alle im Munde. Leise Zweifel sind jenseits des Atlantiks kaum zu hören. Das, was Erzbischof Weakland in seinem Fall so zeichenhaft erbat, ist in der Pädophilie-Diskussion zur Zeit kein öffentliches Thema. Zu sehr argwöhnen die Missbrauchsopfer und ihre Lobby, dass das jahrelange Verschweigen weitergeht, und kirchliche Amtsträger fürchten, dass ihnen der klare Kurs zum Schutz der Kinder und Jugendlichen nicht abgenommen wird, wenn sie sich zu sehr auf die Täter "einlassen".

Dennoch sollten - trotz der aufgeladenen Atmosphäre - Zweifel an der "Zero-Tolerance"-Politik leise, aber bestimmt geäußert werden:

* "Zero Tolerance" ist ein Zugang, der vor allem vor dem Hintergrund des amerikanischen Gesellschaftsverständnisses zu sehen ist: Dieses ist von einem starken Schwarz-Weiß-, einem geradezu manichäischen Gut-Böse-Verständnis geprägt. Es gibt gute, und es gibt böse Menschen - innerhalb wie außerhalb der Kirche. Wer "böse" ist (der pädophile Priester, der Verbrecher etc.) fällt der Bestrafung anheim (dass in den USA wie nirgendwo sonst auf der Welt eingesperrt wird, ist ein klares Indiz hiefür). Für Umkehr und dessen säkulares Pendant, die Resozialisierung, gibt es in diesem Konzept kaum Platz.

* "Zero Tolerance" ist aber auch eine typische Problemlösung in der Mediengesellschaft: "Es ist nicht die Zeit der großen Unterscheidungen, so sehr diese jetzt nötig wären", schreibt Andreas Batlogg im jüngsten, dem Pädophilie-Skandal in den USA gewidmeten Editorial der Stimmen der Zeit, der von Jesuiten in München herausgegebenen Zeitschrift für Kirche und Gesellschaft. Auch die Medien wollen klare, einfach zu benennende Verhältnisse. Die bösen Missbrauchs-Täter, die bösen (bischöflichen) Vertuscher: Auf sie können die Versäumnisse einer Gesellschaft leicht abgeladen werden.

* Auch die katholische Kirche frönt der "Zero Tolerance"-Politik - man denke nur an die unerbittliche Haltung gegenüber geschiedenen Wiederverheirateten, für die es nach geltender Lehre keine "kirchlich-irdische" Gnade gibt: Kein Wunder, dass nicht nur die Missbrauchsopfer nun einen vergleichbaren Rigorismus einfordern.

All dem entgegen sollte die kirchliche Botschaft aber eine Botschaft der Heilung wie der Barmherzigkeit und nicht der Unerbittlichkeit sein. Der Pädophilie-Skandal in den USA steht exemplarisch dafür, wie durch Jahre hindurch Missstände geduldet wurden, und wie die Auseinandersetzung darum öffentlich werden musste. Klar ist: Kein Zweifel darf darüber herrschen, dass Missbrauch an Kindern in der katholischen Kirche keinen Platz hat. Gleichzeitig ist es aber notwendig, dass Kirche wie Gesellschaft allen Beteiligten Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Chance zur Umkehr zuteil werden lassen - und nicht bloß dem modernen medialen Manichäismus frönen.

Das setzt aber eine transparente und zeitgemäß weltoffene Institution voraus: Dass die Affären in den USA (man darf hinzufügen: Analoges gilt für die katholische Kirche insgesamt) so eskaliert sind, hat wesentlich damit zu tun, dass sich diese Kirche immer noch als geschlossene Organisation darstellt. Die daraus zu ziehende Lehre wäre, diese Intransparenz zu überwinden. Eigentlich geht es darum, effektive Kontrolle und offen nachvollziehbare Entscheidungsmechanismen zuzulassen. Dem steht nach wie vor die monarchische Verfasstheit der Kirche - vom Pfarrer als Gemeindeleiter über den Bischof als Ortskirchenvorsteher bis zum Papst - entgegen. Viele fordern hierzulande wie in den USA seit Jahren Reformen: Nicht eine "Zero Tolerance"-Politik, sondern ein wirkliches Umdenken in diesem Bereich wäre letztlich vonnöten, um Affären wie die katholischen "Sexskandale" in den USA hintanzuhalten.

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