Unberechenbar Lebendiges

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Menschliche Suche nach Gewissheit und Sicherheit muss damit rechnen, dass sich nicht alles berechnen lässt - auch und gerade in der Politik.

Wenn Pluto jetzt kein Planet mehr ist, stimmt dann das Zeitungshoroskop noch weniger als vorher - und worauf soll man sich dann überhaupt noch verlassen können? - Auch solche, durch aktuelle Astronomenentscheidungen ausgelöste, Unsicherheiten beschäftigten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen Politischen Gespräche beim Forum Alpbach - freilich erst am Rande und nach den offiziellen Debatten von und über die dieses in Kooperation mit dem Bundeskanzleramt gestaltete Furche-Dossier handelt.

Redaktion: Wolfgang Machreich

Das Lebendige lässt sich nicht berechnen" - mit diesem "persönlichen Mutmachersatz" aus Franz Kafkas Zitatenschatz startete Außenministerin Ursula Plassnik ihr Alpbacher Plädoyer, Ungewissheiten und Unsicherheiten nicht nur als beunruhigend und bedrohlich wahrzunehmen, sondern darin auch eine Freiheitschance zu sehen, "die uns hindert, in den Sackgassen des Lebens zu landen". Ungewissheiten zwingen nämlich zu handeln, so die Außenministerin, obwohl wir nicht immer gleich zweckmäßige Antworten auf unsere Fragen finden können: "Mit unserem Handeln müssen wir der Ungewissheit entgegenarbeiten", resümierte Plassnik und meinte damit "sowohl die individuelle als auch die kollektive, offizielle Ebene".

Damit war der Bogen zu aktuellen Fragen der Außenpolitik und im Besonderen zur EU-Politik gespannt. Schon zuvor hatte Plassniks Amtsvorgängerin als österreichische Außenministerin und jetzige EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner bei ihrem Alpbach-Referat über "Europas Antwort auf die globale Zeitenwende" gemeint: "Der Spruch ,Du sollst in interessanten Zeiten leben', gilt im Chinesischen als Fluch. Wenn ich auch grundsätzlich optimistischer eingestellt bin, muss ich doch zugeben, dass diese Interpretation in unserer heutigen Welt eine gewisse Gültigkeit entwickelt."

"Zerknautscht-Sein Zeiten"

Plassnik verglich die Europäische Union mit einer Baustelle, an der die Mitarbeit aller gefordert sei und wo man auch in "Zeiten des Zerknautscht-Seins" mit Optimismus in die Zukunft blicken solle. Zu einem besonderen europäischen Zerknautscht-Sein-Anlass, dem Stocken des EU-Verfassungsprozesses, erklärte Plassnik: "Wir brauchen auf jeden Fall bis 2009 mehr Klarheit über die Rechtsgrundlage." Berücksichtig werden müssten dabei auch die Fragen "Soziales und Solidarität" sowie eine Reihe neuer Themen, die am "Radarschirm der Union" aufgetaucht sind. Konkret nannte die Ministerin dabei vor allem den Bereich Zuwanderung, Energiefragen sowie den Umgang mit der islamischen Welt.

"Da sitzt zukünftiges Europa"

Zur Frage weiterer Erweiterungen der Union meinte Plassnik: "Wir sollten uns nicht verstecken hinter der Alles-oder-nichts-Frage ,Beitritt Ja oder Nein?' - damit würden wir der Situation nicht gerecht." Die EU-Nachbarschaftspolitik (siehe auch Beitrag Seite 12) bietet, laut Plassnik, die Möglichkeit, "flexibel auf die spezifischen Bedingungen der Länder einzugehen". Gleichzeitig bekräftigte sie aber die "Beitrittsperspektive für alle Länder Südosteuropas". Plassnik erinnerte dabei konkret an das Treffen der EU-Außenminister mit den Amtskollegen der Balkan-Staaten Mitte März dieses Jahres in Salzburg. Als die Minister damals die Nachricht vom Tod des in Den Haag inhaftierten früheren jugoslawischen Staatschef Slobodan Milo\0x0161evic\0xB4, sei jedem Anwesenden klar gewesen, sagte Plassnik, "dass hier das zukünftige Europa sitzt".

"Die Großen werden nicht mehr so oft wie früher laufen gelassen, als Unantastbare Kraft Herkunft, Verbindung, Stellung in Politik oder Militär", zeichnete Wolfgang Schomburg, Richter am Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda in Den Haag, ein weltweites Rechts-und Gerechtigkeits-Szenario, das "für die einen noch zu langsam, für mich sensationell schnell" beginnt, sich durchzusetzen. Zum Alpbacher Generalthema "Suche nach Gewissheit und Sicherheit" befragt, stellte Schomburg fest, dass "das Recht das große Glück hat, zumindest der Theorie nach Grundnormen mit Ewigkeitsgarantie zu haben: die Grund-und Menschenrechte". Vor 20 Jahren wurde der Gedanke einer internationalen Strafgerichtsbarkeit noch müde belächelt, erinnerte der Richter, heute gibt hingegen für bestimmte Regionen die Möglichkeit verbrecherische Tatsachen aufzuarbeiten: "Aber ganz wesentlich ist, dass die Gleichheit vor dem Gesetz nicht nur in Bereichen angewandt wird, wo es politisch gewünscht ist, sondern auch dort, wo es politisch nötig ist: Auch die Großen dieser Welt müssen damit rechnen, dass sie für Straftaten zur Verantwortung gezogen werden." Dabei ist dem Den Haager Richter vor allem die Position der USA ein Dorn im Auge: "Gerade weil sie unser Freund und Partner sind, müssen wir die Amerikaner von der internationalen Strafgerichtsbarkeit überzeugen". Und damit die Durchsetzung des Rechts nicht erst immer nach groben Menschenrechtsverletzungen stattfindet, fordert Richter Schomburg eine militärisch-juristische UN-Eingreiftruppe, "die zu jeder Zeit die Situation schnell bewerten kann und dann Unterstützung bei der Exekution von Haftbefehlen erhält".

Auf eine andere Gefahr, die Demokratien droht, hat in Alpbach schließlich die belgische Politikwissenschafterin Chantal Mouffe hingewiesen - ihre Warnung: Durch mangelnde politische Alternativen resultiere eine auf die Religion fokussierte Selbstidentifikation. "Wir müssen uns mit verschiedenen Parteien identifizieren können, müssen das Gefühl haben eine Wahl zu besitzen", sagte die an der Universität von Westminster in London lehrende Mouffe. "Wegen der Dominanz des neoliberalen Modells gibt es heute aber den Unterschied zwischen Links und Rechts nicht mehr." In der Folge wendeten sich die Menschen daher einer verstärkten Identifikation auf Grund moralischer und religiöser Ansichten zu; das Spiel der demokratischen Kräfte, "die kämpfen ohne sich zu vernichten", werde so durch einen zerstörerischen Antagonismus zwischen Gut und Böse ersetzt. "Auf dieser Basis kann es keine demokratische Diskussion geben - politisch nur mehr die Wahl zwischen Coca-Cola oder Pepsi-Cola zu haben ist sehr Besorgnis erregend", erklärte Mouffe.

Auch in der Weltpolitik ortet Mouffe die Gefahr einer Radikalisierung auf Grund mangelnder Alternativen zum Demokratie-Bild der USA. Extremismus etwa in Form eines politischen Islamismus oder Terrorismus und die Einteilung in die Guten und die Bösen seien die Konsequenz. Mouffes Lösungsansatz: "Wir brauchen eine multipolare Welt."

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