Und dann endlich die Gräte …

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Literatur als nur peripher wahrgenommene Inspirationsquelle: Philippe Boesmans' "Yvonne, princesse de Bourgogne" im Theater an der Wien.

Niemand lässt sich gern auf Diskussionen über eigene Schwächen ein. Schon gar nicht vor der gaffenden Öffentlichkeit. Als "Humorist, Narr, Seiltänzer, Provokateur" hat sich Witold Gombrowicz bezeichnet. "Meine Werke", sagte er, "stehen kopf, um zu gefallen, ich bin ein Zirkus, Lyrismus, Poesie, Entsetzen, Kampf, Spiel." Zwingender hätte er auch seinen Bühnenerstling "Yvonne, die Burgunderprinzessin" nicht beschreiben können. Eine bewusst skurrile Momente einblendende bitterböse Abrechnung mit einer Gesellschaft, die sich selbst als das Maß aller Dinge sieht und allen, die ihr einen Spiegel entgegenhalten, mit schließlich unverhohlener Brutalität begegnet.

Präzise Regie

Natürlich passt sie nicht in das Bild dieser vor Selbstgefälligkeit strotzenden Society. Und schon gar nicht in ein Königshaus, diese träge, lymphatische Yvonne, die der Prinz nicht zuletzt deshalb als Frau auserkoren hat, weil er selbst zu schwach ist, seiner und der ihn umgebenden Scheinwelt zu trotzen.

François Bondy, der bedeutende Literaturwissenschaftler, hat als erster die Bedeutung von Gombrowicz erkannt, sein Sohn Luc Bondy, Intendant der Wiener Festwochen (und dies bis 2013), hat mit seiner früheren Kölner Regie von "Yvonne" Furore gemacht. Jetzt wurde dieses Stück in einer Koproduktion mit der Pariser Oper in einer die Figuren in ihrer Doppelmoral präzise zeichnenden Regie von Luc Bondy im Theater an der Wien gezeigt. Begleitet von einer sehr sachlichen, die Orte des Geschehens klar abbildenden Bühnenarchitektur von Richard Peduzzi und in einer das Schrille des Stücks bewusst betonenden Ausstattung von Milena Canonero.

Zitatenselige Musik

Kaum mehr als einen Satz hat Yvonne - hinreißend, und das nicht allein wegen der Selbstverständlichkeit ihrer akrobatischen Verrenkungen, verkörpert von Dörte Lyssewski - zu sagen. Offen bleibt die Bedeutung der ihr gebliebenen Worte vom Kreis. Es sei denn, man interpretiert sie dergestalt, dass sich der Kreis rasch für den schließt, der ungeladen irgendwo eindringt. Denn ihr Auftauchen in dieser sehr anderen Gesellschaft wird mit dem Tod, den sie beim Essen eines mit Gräten gespickten Fisches geplant erleidet, bestraft. Ebenso zwingend geführt die übrigen Protagonisten: die hysterische, sich in ihre selbstgewählte lyrische Welt vergrabende Königin Margarethe (Mireille Delunsch), der seine Playboy-Allüren narzisshaft pflegende König Ignaz (Paul Gay), der selbst vor der Unentschlossenheit anderer nie zu Selbstbewusstsein findende, sich rasch mit einer Kammerfrau (Hannah Ester Minutillo) zusätzlich verlobende, psychisch schwer geschädigte Prinz Philipp (Yann Beuron).

Aber nicht um die schauspielerische Umsetzung dieses Stoffes ging es an diesem, nur mit verhaltenem Höflichkeitsapplaus bedachten Premierenabend. Zur Diskussion gestellt wurde eine vieraktige Oper nach Gombrowicz. Aber wie schon bei seinen Vorgängerwerken "Wintermärchen" nach Shakespeare, "Reigen" nach Schnitzler oder der bei den Wiener Festwochen 2005 gezeigten Oper "Fräulein Julie" nach Strindberg ließ sich der belgische Komponist Philippe Boesmans auch bei diesem (von Luc Bondy und Marie-Luise Bischofberger verfertigten) Libretto nur zu einer zitatenseligen, hauptsächlich von Spätromantik und Expressionismus bestimmten Schauspielmusik verführen. Selbst die Idee, Yvonnes Hässlichkeit durch die Schönheit der Musik zu kontrapunktieren, blieb mehr Wunsch als erkenn-, vor allem hörbare Aussage.

Da nutzte es nur wenig, dass sich das sonst Qualitätsvolleres gewohnte Klangforum Wien unter Sylvain Cambreling ebenso engagiert ins Zeug legte wie die prachtvollen Stimmen von Les jeunes Solistes und auch die Sänger eine untadelige Ensembleleistung boten. Scheitert man schon am selbstgewählten Anspruch einer großen musikdramatischen Form, sollte man wenigstens mit Ansätzen von Originalität aufwarten können. Selbst das verwehrt sich Boesmans nie aus konventioneller Befindlichkeit ausbrechende musikalische Assistenz. Denn eine Deutung des Stoffes geht er mit seinem musikalischen Universum erst gar nicht an.

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