Und immer dieser Hauch Untröstlichkeit

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Am 20. Juni wird Felix Mitterers Stück "Jägerstätter“ am Theater in der Josefstadt uraufgeführt. Ein weiteres "Menschenstück“ des Unangepassten.

Volksautor? Heimatdichter? Als erst kürzlich in seiner Heimat Tirol das Klischee wieder bedient wurde, sagte Felix Mitterer: "Ich habe nie gesagt, ich bin ein Heimatdichter oder ein Volksautor. Ich schreibe Menschenstücke.“

Jetzt hat er wieder ein Menschenstück geschrieben, "Jägerstätter“, glücklich, das Bild dieses oberösterreichischen Bauern korrigieren zu dürfen, der als NS-Kriegsdienstverweigerer am 9. August 1943 hingerichtet wurde, und bei vielen noch immer als stur und bigott gilt. Mitterers Stück wird in der Regie Stephanie Mohrs am 20. Juni im Theater in der Josefstadt uraufgeführt, mit Gregor Bloéb und Gerti Drassl als Ehepaar Franz und Franziska Jägerstätter und Michael Schönborn als Ortsgruppenleiter. Ab 3. Juli wird es beim Theatersommer Haag gezeigt, wo sich dessen Intendant Bloéb, der sich das Stück von Mitterer wünschte, damit verabschieden wird.

Ist das Schauspiel, das Ende Mai in Erl nahe Kufstein Premiere hatte, ein Menschenstück? Zum 400-Jahr-Jubiläum der Erler Passion dramatisierte Felix Mitterer Jesu Leidensweg, musste diesen Jesus neu kennenlernen und wurde von ihm ergriffen. Schaute den 600 Erler Spielern ins Herz, kratzte an den Mächtigen und der Kirche und huldigte den Frauen. Die von Markus Plattner bildmächtig inszenierte Passion berührte die Zuschauer zutiefst; Dogmatik-Professor Józef Niewiadomski ortete indes textliche Schwächen.

Erkenntnis aus Empathie

Kritiker werfen dem literarisch Unangepassten Sentimentalität vor, Theaterwissenschafter kommen an die Grenzen ihrer Realismusdebatte, wenn es um Felix Mitterer geht. Intellekt und Analyse reichen nie ganz dorthin, wo sich Mitterers Stücke ansiedeln. Er liebt seine machtlosen Figuren in ihrer unbewältigten, unverstandenen Welt, lässt seine Empathie übergreifen und zu Erkenntnis werden. Was auf Außenstehende kitschig oder simpel wirken mag, erreicht die Zuschauer. Dass sie dabei die eigene emotionale Öffnung zulassen, beweist des Autors Behutsamkeit. Mitterer schreibt Passionen. Schreibt seine Stücke in einer Umarmungsgeste und nicht für die Kulturschickeria.

Felix Mitterer, Autor der Unterdrückten und Entrechteten, der Ausgegrenzten und Sprachlosen. Autor mit Humor und immer - in den Stücken, in der persönlichen Begegnung, im Lachen - dieser Hauch Untröstlichkeit. "Im Grunde schreibe ich immer die gleichen Stücke - was tun wir Menschen einander an“, sagt er.

Für sich selbst agiert er ohne Selbstmitleid, ohne Anklage. Vielleicht deshalb können Interviewer noch immer nicht genug von der frühen Biographie des heute 65-Jährigen bekommen. Von der harten Jugend des an ein Landarbeiterpaar verschenkten Buben, der seinen Lebenstraum, Schriftsteller zu werden, Schritt für Schritt verwirklichte. Später lebte er 15 Jahre lang in Irland und ist seit 2010 wieder in Österreich, mit Sitz in Niederösterreich.

Sein Erstling "Kein Platz für Idioten“, bis heute vielgespielt wie "Besuchszeit“ und das daraus gewachsene "Sibirien“, "Stigma“, das den Zillertalern gehörende historische Volksstück "Verlorene Heimat“, das Drama antiker Wucht "Mein Ungeheuer“ und die ergreifende "Beichte“ gehören zu Mitterers stärksten Stücken. Dazu kommen die Geschichtsdramen, die örtlich gebundenen Stücke, stärkere und schwächere Werke, solche, die ihre Kraft erst gewinnen mussten, und jene, die der Autor selbst sperrte. Mitterer ist auf Staatsbühnen zu finden und unermüdlich bei seinen geliebten Volksschauspielern. Aktuelle Themen prägen auch seine TV-Arbeiten, von der einstigen skandalumtosten "Piefke Saga“ bis zum "Tatort“.

Aktive Zeitzeugenschaft

Immer wieder hat der Autor aufkeimende Zeitthemen vorausgeschrieben, von den Zuständen in Altersheimen über Fremdenverkehrsabsurditäten bis zum Kindesmissbrauch in klerikalen Kreisen. Er lebt eine aktive Zeitzeugenschaft, die Geschautes nicht unbeantwortet lassen kann. Wie Wagners Parsifal ist er "durch Mitleid wissend“ geworden. Nahm als Sozialrevolutionär mit der Feder den Kampf wider das Wegschauen auf. Und immer wieder ging die Utopie in realen Ergebnissen auf, wie damals, als sich, ausgelöst durch "Kein Platz für Idioten“, die Behinderten selbst zu wehren begannen. "Theater, das nicht wehtut, das unseren Schmerz nicht zeigt, ist uninteressant“, sagte er.

Und dann ging es darum, das Bild eines Schmerzes zurechtzurücken. Mitterer fuhr zur Familie Jägerstätter, sprach mit der hellwachen Franziska, war mit Bloéb bei ihrem 100. Geburtstag am 4. März 2013 anwesend. Am 16. März starb sie. "Franziska war bis zu ihrem Tod ein froher Mensch. Immer ein Leuchten im Gesicht, ganz wunderbar.“ Sie erzählte, wie Jägerstätter wirklich war. Ein tiefgläubiger, aber keineswegs sturer und bigotter Mensch, sondern lebenslustig, mit dem ersten Motorrad in der Gegend, der mit den Radegunder Heimwehrburschen ins Wirtshaus ging, aber von der Entscheidung seines Gewissens und Glaubens nicht mehr zurück konnte, als ihm im Berliner Gefängnis Familie, Freunde, Kleriker und selbst Nazis zuredeten, die Kriegsdienstverweigerung zurückzunehmen und damit sein Leben zu retten. Mitterer bewegt, "dass sein Tod nicht seltsam war für die Welt“. Dass Jägerstätter in den USA als eine Art Schutzpatron der Militärdienstverweigerer gilt und Erzbischof Roberts SJ auf dem II. Vatikanum den "Fall Jägerstätter“ referierte und damit zu einer entsprechenden Positionierung des Konzils beitrug.

So schrieb Mitterer ein Menschenstück, voll Mut und Liebesglück, hätte es gern "Franz und Franziska“ genannt. Berichtet von den Zweifeln und Ängsten dieses Mannes, "von seinen inneren Kämpfen und von seiner Konsequenz, die uns weniger Mutigen ein Stachel im Fleisch ist“.

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