Und Sie? Sprechen Sie Antilopisch?

Werbung
Werbung
Werbung

Wien Modern

Die Neue Oper Wien zeigt die Oper von Johannes Maria Staud und Durs Grünbein in einer Neuinszenierung.

"'Pinocchio' entpuppt sich bald als belangloses Panorama unterschiedlicher Begebenheiten. Die Idee, dass hinter diesem Stoff auch eine Botschaft steckt, lässt die Regie erst gar nicht aufkommen."

An der Volksoper

Juliette Khalils Pinocchio überzeugte stimmlich nicht.

Man kann diese Partitur mit so kräftigen Farben und so lautstark zeichnen, wie es der Intendant der Neuen Oper Wien, Walter Kobéra, an der Spitze seines amadeus ensembles und des von Michael Grohotolsky einstudierten Wiener Kammerchors im Rahmen des "Wien Modern"-Festivals im Wiener Museums-Quartier vorzeigte. Dann geht einiges vom charakteristischen musikalischen Faktur verloren, die sich Johannes Maria Staud für seine Oper in sechs Bildern, "Antilope", erdacht hat.

Das melodische und rhythmische Lineament des Stücks ist filigraner, vor allem kunstvoller gewoben, als es bei dieser österreichischen Erstaufführung deutlich wurde. Sie entsprach damit den Anforderungen dieses Werks nicht in dem Maß, wie man es sich gerade für das erste Kennenlernen wünschte.

In Kunstsprache geflüchtet

Auch szenisch hätte sich mehr aus dieser von einer Tony-Cragg-Skulptur, einem Beckett-Stück, einem Scorsese-Film und der Tierwelt inspirierten Geschichte herausholen lassen. Denn Durs Grünbein legt damit einen auf den ersten Blick skurril erscheinenden, tatsächlich profunden Befund über die Kommunikationsarmut und -schwierigkeit unserer Zeit vor. Dargestellt am Beispiel des sich bald in eine Kunstsprache - eben Antilopisch -flüchtenden Angestellten Victor. Ihm wird während einer Firmenfeier bewusst, wie wenig er mit seinen Kollegen anfangen kann. Er stürzt sich aus dem Fenster. Durch die Begegnung mit einer abstrakten Skulptur findet er wieder zu seiner angestammten Sprache. Nachdem er sich in den Schlaf gesungen hat, ist er plötzlich im Zoo. Schließlich kehrt er, verstummt, wieder zur Firmenfeier zurück. Der Kreis hat sich geschlossen, das Thema bleibt.

So eindringlich Wolfgang Resch den auch mit Kindheitserinnerungen konfrontierten Einzelgänger spielt und singt, so wenig trägt die Regie von Dominique Mentha (in einem schmucklosen Bühnenbild von Ingrid Erb und Walter Hütterly) zum Stückverständnis bei. Oder meinte er, das Spannungsfeld von introvertiertem Individuum und verständnisloser Masse schon damit suggerieren zu können, dass er den Kopf der Protagonisten vielfach unter Tiermasken versteckt? Da hätte es zusätzlich einer differenzierten Personenführung für die einzelnen Darsteller bedurft, die sich gleichermaßen in Arien wie mit Sprechen präsentieren können. Denn auf Rezitative hat Staud bewusst verzichtet.

Valtinonis Musik enttäuscht

Entstanden ist "Antilope" mit Unterstützung der Siemens-Stiftung über Auftrag des Theaters Lucerne, dessen Direktor damals Mentha war. Das erklärt auch, weshalb er bei der Uraufführung 2014 Regie führte und "Antilope" nun auch in Wien in seiner Inszenierung gezeigt wurde. Stauds nächstes Musiktheater, wieder auf einen Grünbein-Text, "Die Weiden", wird nächstes Jahr an der Wiener Staatsoper herauskommen. Ob dabei seine polystilistische Musiksprache mehr Anklang finden wird?

Ebenfalls eine österreichische Erstaufführung präsentierte die Volksoper. So richtig glücklich wurde man auch damit nicht. Weder musikalisch noch szenisch. Dabei durfte man sich einiges von diesem "Pinocchio" erwarten. Schließlich ist der Komponist des Werks auf Kinderopern geradezu spezialisiert. Drei hatte er bereits geschrieben, ehe er sich an die Vertonung dieser zu menschlichem Leben erweckten Holzpuppe und deren Abenteuer machte. Trotzdem enttäuschte die Musik des aus Vincenza gebürtigen und dort auch tätigen Nino-Rota-Schülers Pierangelo Valtinoni.

Mehr Effekt als Gehalt

Natürlich weiß er, wie man effektvoll orchestriert, ebenso wirkungssicher Erwachsenen- und Kinderstimmen zusammenführt. Aber mehr als gefällig erweist sich seine Musik nicht. Vor allem fehlt es an eingängigen Nummern, um nicht zu sagen Schlagern. Im Wesentlichen illustriert Valtinoni die ausgewählten Texte aus diesem Klassiker für große und kleine Kinder mehr geschmack-als gedankenvoll, schafft Stimmungen, geht aber nicht in die Tiefe.

Das ist auch Philipp M. Krenn mit seiner Inszenierung nicht gelungen. Er beginnt mit einem Blick hinter die Theaterkulissen, erzählt anschließend die einzelnen Szenen, ohne diese Episoden im Mindesten zu werten. Womit sich diese betont bunte, zuweilen von Videos (Andreas Ivancsics) unterstützte Szenerie (Bühnenbild: Nikolaus Webern) bald als ziemlich belangloses Panorama unterschiedlicher Begebenheiten entpuppt. Die Idee, dass hinter diesem Stoff auch eine Botschaft steckt, lässt die Regie erst gar nicht aufkommen.

Juliette Khalils Pinocchio überzeugte mehr durch ihre sympathische Erscheinung als stimmlich. Daniel Ohlenschläger gab einen ziemlich apathischen Vater Gepetto, dem man am Ende nicht abnimmt, dass er wirklich glücklich ist, seinen Pinocchio in seine Arme schließen zu können. Martina Dorak agierte, nicht immer höhensicher, als wenig geheimnisvolle Fee.

Mit viel Animo waren die zahlreichen Kinderdarsteller -für sie alle ein Rollendebüt -bei der Sache. Egal, ob als Solist oder in den Chorszenen, die man durchaus fantasievoller hätte arrangieren können. Und so sehr sich Guido Mancusi am Pult des gut studierten Orchesters der Volksoper und des Kinder-und Jugendchors um eine plastische wie schwungvolle Interpretation der Partitur bemühte, so wenig konnte er damit über die insgesamt mehr routinierte wie inspirierte Musik hinwegtäuschen.

Pinocchio Volksoper 26., 27. Nov., 3., 6., 8., 10., 14. Dez.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung