...und weg ist die Vergangenheit

19451960198020002020

Hellmuth Karaseks amüsante Betrachtungen über die Liebe im Zeitalter des Handys.

19451960198020002020

Hellmuth Karaseks amüsante Betrachtungen über die Liebe im Zeitalter des Handys.

Werbung
Werbung
Werbung

V erstohlen hängte man zu Nestroys Zeiten das Schnupftuch aus dem Kutschenfenster, um dem oder der Geliebten heimlich ein Zeichen zukommen zu lassen. Doch längst vorbei ist diese Zeit. Im Zeitalter des Handys tauscht man Liebesschwüre mit Hilfe von Rufumleitung und Mailbox aus und hofft inständig, daß sich die elektronisch gespeicherten Pin-Codes von Ehefrau und Geliebter nicht im Notebook verheddern. Es ist also, folgt man Hellmuth Karaseks amüsanten Anekdoten über die veränderten Liebes- und Alltagsgeschichten im Zeitalter der totalen Erreichbarkeit, gar nichts einfacher geworden. Ganz im Gegenteil: "Seit die Menschen unentwegt miteinander reden können, haben sie sich kaum noch was zu sagen."

Der aus dem "Literarischen Quartett" bekannte Kritiker ist selbst begeisterter Nutzer des "drahtlosen Oralverkehrs". Er beleuchtet mit viel Ironie die neuesten Formen des erotischen Nahkampfs durch wechselseitige Mailbox-Einbrüche und Pin-Code-Löschungen und die seelischen Qualen und Lebenskrisen, die durch die Unerreichbarkeit ständig Erreichbarer ausgelöst werden können. Zum Glück habe "das Handy keine Schnur, damit man sich nicht daran erhängen kann."

Köstlich sind Karaseks Seitenhiebe auf das "dienstliche Quasseln und Quatschen mit stark exhibitionistischem Touch während Flugreisen und Bahnfahrten", obwohl der exotische Reiz der Handy-Besitzer längst abgeklungen ist. War das Handy ursprünglich ein Statussymbol, das je nach Modell Kennern einen Hinweis auf den hierarchischen Status des Benützers gab, so ist es längst zum jämmerlichen Beweis dafür geworden, daß man gezwungen ist, stets verfügbar zu sein. Wahres Statussymbol ist längst wieder die Sekretärin, die den Chef verleugnet.

Leichter, so die scharfe Beobachtung von Hellmuth Karasek, ist es dank der Handys lediglich geworden, sich aus der Affäre, respektive aus Affären zu ziehen: "Ihre Mailbox ist voll, löschen Sie alte Nachrichten" lautet die mitunter nur zu willkommene Botschaft des eifrigen Handys, und auf Knopfdruck ist ein Teil der Vergangenheit gelöscht. Briefe müßte man zumindest zerschnipseln, verbrennen oder für nostalgische Stunden an einem geheimen Ort aufbewahren. Das Büchlein ist es wert, eine Bahnfahrt lang das Handy abzuschalten und sich der altmodischen Tätigkeit des Lesens zu widmen.

Hand in Handy Von Hellmuth Karasek, Hoffmann & Campe, Hamburg 1997, 158 Seiten, geb., öS 204,

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung