Unerbetener Besuch aus Rom

Werbung
Werbung
Werbung

Katholische Kirche jenseits des Atlantiks: 68.000 US-amerikanische Ordensfrauen werden zurzeit von zwei vatikanischen Kongregationen untersucht. Was haben die Schwestern getan, um so große Aufmerksamkeit von der römischen Zentrale zu erhalten?

An einem kalten Jännertag des Jahres 2003 nahm ich an einer Friedensdemonstration auf der National Mall mitten in Washington, D.C. teil. Zusammen mit 200.000 anderen besorgten Menschen protestierte ich gegen den sich deutlich abzeichnenden Überfall der USA auf den Irak: „No War on Iraq“ forderten Jesse Jackson, Veteran der Bürgerrechtsbewegung, und Ramsey Clark, Justizminister im Kabinett Lyndon B. Johnsons, in ihren Reden. Aber weder Jackson noch Clark sind mir von dieser Veranstaltung vorrangig in Erinnerung geblieben, sondern eine Gruppe von fünf oder sechs mit braunen Parkas bekleideten, freundlichen älteren Frauen, die ein Banner vor sich ausgebreitet hatten, auf dem zu lesen war: „Sisters of St. Joseph Against War“.

Die im 17. Jahrhundert in Frankreich gegründete Gemeinschaft der Schwestern des hl. Joseph zählt heute zu den am stärksten für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung engagierten Frauenorden der Vereinigten Staaten. Sie besitzt Beraterstatus als Nichtregierungsorganisation bei der UNO. Ihr bekanntestes Mitglied ist Schwester Helen Prejean: Der autobiografische Bericht der Aktivistin gegen die Todesstrafe, Dead Man Walking, war 1993 für den Pulitzer Preis nominiert, ist drei Jahre später mit Susan Sarandon in der Rolle von Sister Helen verfilmt und 2000 in San Francisco sogar als Oper aufgeführt worden.

Doppelte Überprüfung

Schwester Helen Prejean, meine Josefsschwestern von der Friedensdemonstration und zehntausende weitere US-amerikanische Ordensfrauen, die in Krankenhäusern und Bildungseinrichtungen, Friedens- und Umweltprojekten, Hilfsorganisationen und Gefängnissen tätig sind und sich in den Ghettos amerikanischer Großstädte und Ländern der sogenannten Dritten Welt auf Seite der Armen engagieren, werden seit Anfang letzten Jahres von vatikanischen Behörden visitiert, evaluiert, observiert, überprüft. Und das gleich doppelt: durch eine vom Präfekten der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens (kurz: Ordenskongregation), dem slowenischen Kardinal Franc Rodé, angeordnete Apostolische Visitation und durch eine vom US-amerikanischen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre (kurz: Glaubenskongregation), Kardinal William Levada, initiierte Untersuchung der Dachorganisation der Schwestern, der Leadership Conference of Women Religious (LCWR), die rund 95 Prozent der US-Nonnen repräsentiert. Die Schwestern in kontemplativen Orden dagegen werden nicht visitiert, die Dachorganisation der vergleichsweise kleinen Gruppe rechtskonservativer Nonnen, der Council of Major Superiors of Women, wird nicht überprüft. Alle männlichen Ordensgemeinschaften bleiben ebenfalls unbehelligt.

Komplexe Gründe der Überalterung

91 Prozent der US-Nonnen sind über 60 Jahre alt und der Rest zum überwiegenden Teil über 50. Niemand hat etwas dagegen, die komplexen Gründe für diese Überalterung vorurteilsfrei zu analysieren. Ein Rückgang der Ordensberufungen ist allerdings nicht nur in den USA zu beobachten, sondern in allen westlichen Ländern, und nicht bloß bei weiblichen Ordensgemeinschaften, sondern auch bei männlichen.

Es ist kirchenpolitisch bemerkenswert, dass gerade jene US-amerikanischen Ordensschwestern von den vatikanischen Überprüfungsmaßnahmen betroffen sind, die die Aufforderung des 2. Vatikanischen Konzils selbstbewusst umsetzten, ihr Leben nach dem Evangelium zu erneuern und ihre Ordensverfassung an die veränderten Zeitverhältnisse anzupassen (Dekret Perfectae caritatis). Evaluiert werden ausschließlich jene Ordensfrauen, die gleichzeitig mit ihrer Ordenstracht auch ihre Devotheit gegenüber dem rein männlichen Klerus abgelegt haben. „Versuchen die kirchlichen Autoritäten an diesen Frauen ein Exempel zu statuieren?“, schrieb mir vor Kurzem ein US-Kollege, der an einer katholischen Privatuniversität lehrt, und fragte weiter: „Könnte es der Fall sein, dass der Vatikan eine ganz genaue Vorstellung darüber hat, was es heißt, eine Frau zu sein (offensichtlich ist dies der Fall!), und deshalb in den Aktivitäten einiger Ordensfrauen eine Eigenständigkeit erblickt, die diese Vorstellung in Frage stellt?“

Nach Kardinal Rodé habe sich bei den US-Frauenorden „eine gewisse weltliche Mentalität breit gemacht, … vielleicht sogar eine gewisse feministische Geisteshaltung“.

Kardinal Levada begründet die Überprüfung der Leadership Conference of Women Religious durch die Glaubenskongregation mit dem Hinweis auf diverse Stellungnahmen der LCWR, in denen die Differenz zwischen Religionen und Konfessionen ungebührlich nivelliert, homosexuelle Partnerschaften großzügig toleriert und die Priesterweihe der Frau ungeniert reklamiert worden sei. Manche werden sich noch daran erinnern, wie Schwester Theresa Kane, die damalige Vorsitzende dieser Organisation, Papst Johannes Paul II. in der Basilika von Washington 1979 dazu aufforderte, alle kirchlichen Ämter auch Frauen zugänglich zu machen.

Mit der konkreten Durchführung der Apostolischen Visitation wurde Mutter Mary Clare Millea, die Generaloberin der Kongregation der Apostel des Heiligen Herzens Jesu, betraut.

Zwei Phasen der in vier Phasen ablaufenden und bis 2011 anberaumten Untersuchung sind bereits beendet: In der ersten, Ende April 2009 gestarteten Phase, traf Mother Clare mit 127 Generaloberinnen zusammen; in der zweiten Phase war bis 20. November 2009 ein umfangreicher Fragebogen auszufüllen.

Irritationen und Reaktionen

Der Fragebogen wurde von zahlreichen Ordensgemeinschaften lediglich teilweise beantwortet. Manche sandten Mutter Clare sogar nur die Konstitution ihrer Gemeinschaft zurück.

Ein Großteil der US-amerikanischen Nonnen ist der Apostolischen Visitation gegenüber skeptisch, viele erblicken darin mangelnde Wertschätzung und grassierendes Misstrauen von Seiten der Kirchenleitung. „Natürlich können wir sie nicht davon abhalten, uns zu überprüfen“, schrieb die Ordensfrau und renommierte Neustestamentlerin Sandra Schneiders an ihre Mitschwestern. „Aber wie können sie höflich und freundlich als das empfangen, was sie sind: unerbetene Gäste, die man im Eingangsbereich des Hauses empfängt, denen man aber nicht gestattet, sich frei im Haus zu bewegen.“

* Der Autor ist ao. Universitätsprofessor für Ethik und Christliche Gesellschaftslehre in Graz

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung