Ungeliebt und ins Eck' gedrängt ...

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Zur Klärung dieser Fragen der gesellschaftspolitisch wichtigen Generationen-Konstellation in- und außerhalb der Familie wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Ludwig Boltzmann-Institut für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung und dem Institut Fessel GfK eine Studie unternommen, in die 1.000 Österreicher und Österreicherinnen über 18 einbezogen waren. Die Feldarbeit zu dieser Studie wurde vor wenigen Wochen abgeschlossen.

Forschungsergebnisse enthalten keine "Anweisungen" für die Politik, wenn sie auch eine demokratieanaloge repräsentative Berücksichtigung der Vielfalt der Meinungen und Einstellungen bieten. Sind die Ergebnisse vom Konzept und der Methode her gut, so sind sie komplex, spannungsreich und teils auch widersprüchlich, so wie die Menschen und die Gesellschaft es sind.

Wir haben unsere Studie so aufgebaut, daß wir aus einer umfassenden Untersuchung durch Tiefeninterviews, bei der Mütter und Töchter komplementär zu Worte kamen, ein Umfragedesign ableiteten und realisierten. Voraussetzung unserer Arbeit war auch, daß wir dem Verhältnis Alt-Jung in der Familie das Aufeinandertreffen der verschiedenen Interessen der Altersgruppen in der Gesellschaft gegenüberstellten, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Familie und Gesellschaft zu finden.

* Nähe und Kooperation einerseits und Konflikt anderseits - beides konnten wir für die Familie dokumentieren - schließen einander nicht aus. Vielleicht können wir sogar sagen: Der Schauplatz des Konflikts wird in dem Maß zu einer Gemeinschaft, als die Beteiligten es lernen, einander zuzuhören und aufeinander einzugehen, obwohl sie im Streit und durch ihn Differenzen sogar noch deutlicher empfinden. Die Einsichten in Divergenzen können zu neuen Annäherungen führen.

* Ein geradezu "monumentales" Ergebnis unserer Studie ist außerfamiliärer Art. Wird nach gesellschaftlichen Konfliktursachen geforscht, so gehen eindeutig die Jungen (auch in deren eigenem Urteil) als hauptsächliche Konfliktbringer hervor. Es scheint, daß sich ein Hauptteil gesellschaftlicher Entwicklungsschwierigkeit, auch wenn sie sich nicht allgemein in Demonstrationszügen und Straßenkämpfen artikuliert, bei der Jugend konzentriert. Da finden sich ökonomische Unsicherheit, Orientierungsprobleme und Momentreaktionen (gleichsam als soziale Reflexe).

Die alten und ältesten Generationen reagieren - zu unserer Überraschung als Forscher - nicht ablehnend und sich abschottend. Vielmehr stimmen sie zu, daß sich das Schwergewicht gesellschaftlicher und politischer Förderung den jüngsten Generationen und den jungen Familien zuwenden müsse - selbst bei Hintansetzung eigener Interessen!

Aus dieser Perspektive stellt sich Gesellschaft nicht als Null-Summen-Spiel oder Entweder-Oder-Polarisierung dar, sondern eher als System, das unter Aspekten der Verknappung (von Begünstigungen) ein neues Gleichgewicht sucht.

Zukunftssorgen * Zukunftssorgen bestehen durchaus, fast 40 Prozent meinen, daß eine Verschlechterung des Generationenverhältnisses stattfinden könnte - im Laufe der nächsten 20 Jahre. Woraus entstehen diese Zukunftssorgen? Daraus, daß die nachrückenden "neuen Alten" nicht über die heute in Mittel- und Oberschichten bei den 70jährigen und Älteren konzentrierten Mittel verfügen werden? Oder daraus, daß die neuen Alten, die Geburtsjahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg, die im wirtschaftlichen Aufschwung und mit einem ständig steigenden Konsumniveau und -bedürfnis aufwuchsen und dies als Forderung verinnerlichten, weniger "gewährend", eher selbstbedacht und durchsetzungsstark sein werden, weniger Förderer der Jungen?

Die ältesten Altersgruppen werden, wie Modellrechnungen zeigen, weiterhin zunehmen. Die Verbesserung der Gesundheit der über 80jährigen hat zwar stattgefunden, und die Möglichkeiten der Eingriffe durch Operationen und Medikamente steigen. Führende Gerontologen wie Ursula Lehr sprechen von einer Zunahme der Kompetenz und Selbstsorge auch im hohen Alter. Anderseits muß die weitere Verbesserung der Gesundheit der Hochbetagten besonders wegen der Demenzen immer noch unter dem Gesichtspunkt einer "Hoffnung mit Trauerflor" (Paul Baltes) beurteilt werden.

Etwa sieben Prozent der 80- bis 85jährigen sind pflegebedürftig, aber schon fast ein Siebentel der über 85jährigen. Und bei den über 90jährigen steigt der Anteil der Pflegebedürftigen auf 30 Prozent. Bei der Zunahme der mehr und mehr qualifizierten Frauenberufstätigkeit, die wohl auch entscheidend zu wichtigen Emanzipationsprozessen der Frauen führte und den Frauen heute mehr Lebenssicherheit und Selbstbestimmung und damit auch Selbstwert verleiht, verändern sich die Verhältnisse. Es sinkt deutlich die Bereitschaft der Frauen, besonders in der Spätphase ihrer Berufstätigkeit, die Versorgung oder gar Pflege der alten Angehörigen zu übernehmen. Während also die Stützungs- und Pflegeaufgaben zunehmen werden, sinken sowohl die reale Fähigkeit als auch die psychologische Bereitschaft der Frauen in der Familie, die Hauptlast der Hilfe und Pflege für die Alten zu tragen.

Wer pflegt die Alten?

Man mag von der gesellschaftlichen Aktivierung der Älteren und Hochbetagten mehr und mehr deren Integration, die Überwindung der Gefahr ihrer sozialen Exklusion erwarten. Unsere neuen Ergebnisse zeigen allerdings auch die Grenzen der Wirksamkeit der Nachbarschaft für die am stärksten der Hilfe bedürftigen Hochbetagten.

Man muß genau feststellen, welche Kräfte welche Probleme lösen können. Während die über 60jährigen zu mehr als 50 Prozent eher "Geld auf die Hand" zur (eigenen) Organisation künftiger Pflege wünschen, sprechen sich die unter 30jährigen etwa ebenso stark für die andere Variante, den Ausbau sozialer Dienste durch Länder und Gemeinden aus. Sie tun dies wohl auch unter dem Aspekt, massiv öffentliche Stützung für die Sorge um ihre Alten zu erhalten, weil sie sich selber weniger willens (oder imstande) sehen, diese Hilfen und Pflege (künftig) anzubieten.

Zum Dossier "Die Jungen steigen, wenn die Alten fallen", läßt William Shakespeare 1606 im "König Lear" einen aufstrebenden jungen englischen Adeligen sagen. Der Satz kam aus einem politischen Brodeltopf, in dem jeder gegen jeden kämpfte. Es war eine unruhige Zeit, die nach einem neuen Gesellschaftsvertrag suchte. Sollte das "Fallen der Alten" - ihr Abschieben als lästige Nutznießer - im heutigen belastungsreichen Sozialumbruch zur Vorbedingung für den Aufstieg der Jungen gemacht werden? Zwingen uns die Verhältnisse dazu? Steuern wir auf einen "Krieg der Generationen" zu? Eine neue Untersuchung unter Mitwirkung des Soziologen und Lebenslaufforscher Leopold Rosenmayr bringt überraschende Erkenntnisse.

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