Ungeliebt und ins Eck' gedrängt .../Die Sehnsucht nach Sinn: Fortsetzung von Seite 13

Werbung
Werbung
Werbung

Die neue österreichischen Studie zeigt eine umfassende gesellschaftliche Sorge, auch auf seiten der Alten, daß "die Jungen steigen" mögen. Daß dies kein Lippenbekenntnis ist, läßt sich aus den Zeit-, Sympathie- und Geldzuwendungen von Alt zu Jung nachweisen, das den Charakter des Überbalancierens, mehr eines Gebens als Nehmens der Alten, hat.

* Gegenüber der staatlich gelenkten Umverteilung (im Sinne des Umlageverfahrens) von Jung zu Alt, ist ein aus Zeit-, Sympathie- und Finanzgaben bestehender Kreislauf in der anderen Richtung von Alt zu Jung festzustellen, dessen gesellschaftsintegrierende Bedeutung nicht unterschätzt werden darf.

* Das intergenerative Verhältnis ist durchaus konfliktuell, wobei nach unserer Studie die Angst vor dem Konflikt mit dem Vater größer ist als die Angst gegenüber der Mutter, und der Mutterkonflikt häufiger auftritt als der mit dem Vater.

Die neuen, jüngeren Generationen sind konfliktfreudiger als die alten. Es läßt sich vermuten, daß ausgestandener, also "bewältigter" Konflikt das in der Gegenwart gesellschaftlich als Mangelware zu bezeichnende Vertrauen eher erhöht als reduziert. Es gibt allerdings nach wie vor stark tabuisierte Themen: NS und Krieg, Sexualität, Politik und aktuelle Politik.

* Die Generationenbeziehungen lassen sich als Verflechtungs-Verhältnisse mit dem Autonomiestreben der Jungen dann besser verbinden, wenn die "Bindungen aus Wahl" dominieren. Selbständigkeit kann als Selbsterfüllung mit der (selbstgewählten) Verpflichtung und Sorge für andere besser vereinbart werden. Mehr "Auseinandersetzungen" mit sich und der Umwelt sind vermutlich hiefür nötig. Gleichgewicht ist heute weniger durch Normen geschützt, muß häufig neu erstellt werden.

* "Constance a soi" (Paul Ricoeur), eine Art Treue zu sich selbst, hat eine soziale Dimension. Die kapitalistische Wirtschaftsweise generiert den "flexiblen Menschen" (Richard Sennett) und erfordert "Constance a soi", Beständigkeit des Ich, dessen Weg zur Selbständigkeit durch Bindung.

* Die Multigenerativität unserer Gesellschaft hat die noch nicht genug gesehene und genutzte Chance, bei "Intimität auf Distanz" aus dem Nebeneinander der Generationen wechselseitige Lernverhältnisse durch Konflikt und daraus wachsender Selbsterkenntnis zu schaffen. Aus diesen neuen Lernverhältnissen könnten - wenn entsprechend politisch berücksichtigt und gezielt gestützt - Gegenwelten zu der prinzipiell gleichgültigen und anonymen Grundhaltung von kapitalistischer Produktionsweise entstehen.

* Forschung zu Sozialverhältnissen verliert ihren Wert, wenn sie Eintagsfliege bleibt und nicht als gesellschaftlicher Dauerauftrag und als Sondierungsform in einer komplexen Gesellschaft ihre eigene Kontinuität entfalten kann.

* Die Menschen unserer Studie kritisieren massiv den Einfluß, wie ihn derzeit die Medien zum Generationenverhältnis ausüben. Zwei Drittel beurteilen den Medieneinfluß auf diesem Gebiet als negativ. Ich deute dies als Zeichen dafür, daß eine gewisse Sättigung mit dem Herbeireden eines Generationenkonflikts erreicht ist.

Die Sozialforschung bedarf zu ihrer Ergänzung der Sozialphilosophie und der Gesellschaftskritik. Richard Sennett kritisiert in seinem in diesem Jahr erschienenen Buch "Der flexible Mensch" den starken Anpassungsdruck kapitalistischer Wirtschaftsweise, wie er von den Produktionsstätten und der Marktmentalität ausgeht. Ein Regime, schreibt er, das den Menschen keinen tieferen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, läuft Gefahr, seine Legitimität zu verlieren.

Von unserer Generationenforschung her können wir bestätigen, daß die Menschen das Gefühl brauchen, daß jemand etwas von ihnen erwarte, ja sogar, daß man auf sie zähle.

Generationenbeziehungen in der Familie sind ein Bezugsfeld der wechselseitigen Sorge. Auch außerhalb der Familie zeigen unsere Ergebnisse erstaunlich stark wechselseitig geäußerte Verantwortung. Das kann man politisch stützen. Max Scheler sprach von der Gerichtetheit der Person, ihrer Orientierung durch Sympathiegefühle - und der junge Heidegger hatte das soziale Sein als auf Sorge gegründet gesehen. Generationenverhältnisse sind ein primärer Sorgebereich.

In der Aufklärung hatte man bereits die Langfristigkeit des wechselseitigen persönlichen Engagements als zur Reifung des Menschen nötig definiert. Adam Smith, der mit seinem Werk "Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations" den ersten großen Entwurf der Nationalökonomie verfaßte, hatte lange vor der Abfassung dieses Werkes in seiner "Theorie der moralischen Gefühle" 1759 geschrieben, daß oft erst nach längeren Phasen von Mißverständnissen und Widerständen Beziehungen erfüllend zu werden vermögen.

Die französische Soziologin Claudine Attias hat als Gegenstück zu Adoleszenz den bemerkenswerten Begriff Matureszenz eingeführt, den wir für diese Langfristigkeit der Bemühungen zur Überwindung von Widerständen hier auch einsetzen wollen. Matureszenz meint, daß der Mensch zwar nie reif wird, aber immer reifen kann. Niemand, vielleicht nicht einmal der Einsiedler, vermag jedoch allein zu reifen. Unserer Gesellschaft bleiben unter ständigem Mechanisierungsdruck und Impulsen zu Sozial- und Kulturwandel kaum Schauplätze, in denen die erwähnte Reifung samt der "Constance a soi", dem Versuch, Treue zu sich selbst zu finden, gelebt und geübt werden kann.

Jede Gesellschaft braucht aber Lebensformen, in denen dies geschehen kann. Eine Stützung der Generationenverhältnisse wird daher zur vordringlichen gesellschaftspolitischen Aufgabe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung