Ungeschminkt und nicht überfrachtet

19451960198020002020

Christine Gaigg und Willi Dorner, zwei grundverschiedene Choreografen, vertreten die österreichische Tanzszene beim Festival Im Puls Tanz '99 in Wien.

19451960198020002020

Christine Gaigg und Willi Dorner, zwei grundverschiedene Choreografen, vertreten die österreichische Tanzszene beim Festival Im Puls Tanz '99 in Wien.

Werbung
Werbung
Werbung

Von Annemarie Klinger

Sie ist eine sehr bewußte, an der Entwicklung von Strukturen im Raum interessierte Choreografin, er ein nachdenklicher Erforscher physikalischer Vorgänge. Christine Gaigg und Willi Dorner, die heuer mit zwei abendfüllenden Uraufführungen die heimische Tanzszene bei Im Puls-Tanz '99 - dem Wiener Festival für Zeitgenössischen Tanz - vertreten, ähneln einander in ihrer ernsthaften, auf ständige Weiterentwicklung ausgerichteten Haltung und gehen doch ganz unterschiedliche künstlerische Wege.

Christine Gaigg, 1960 in Linz geboren, absolvierte zunächst ein Studium der Philosophie, Linguistik und Theaterwissenschaft, war Redakteurin bei der Zeitschrift "Falter" bevor sie sich zu einer Choreografieausbildung an der School for New Dance Development in Amsterdam entschloß. Seit 1991 präsentiert sie eigene Arbeiten und rückte mit ihrer direkten, ganz und gar nicht intellektuell überfrachteten Bewegungssprache sehr rasch ins Licht der Öffentlichkeit.

1995 warf sie gemeinsam mit dem Komponisten Max Nagl bei dem Projekt "Owei Super", das für das oberösterreichische "Festival der Regionen" entstand, einen eigenwilligen Blick auf die heimische Alpintradition. Seitdem wurden ihre Arbeiten immer minimalistischer. Sprache, Tanz und tanztheatralische Elemente verschwanden zunehmend, in den Mittelpunkt trat in den nächsten Projekten - "The Time Falling Bodies Take to Light" oder "Rough Trades" - die rein tänzerische Struktur. Geblieben ist - in Zusammenarbeit mit Max Nagl - die Verknüpfung von akustischen und visuellen Aspekten. In manchem erinnert Christine Gaiggs analytische Vorgangsweise an die beinahe wissenschaftlichen Bewegungsrecherchen William Forsythes, doch die Choreographin lehnt Vergleiche ab, sich einen Stil zuzuordnen liegt ihr fern. "Ich lebe in einer Zeit und bin beeinflußt von dem was rundherum ist. Zusätzlich habe ich noch meinen eigenen Hintergrund. Ich versuche gar nicht erst in eine bestimmte Richtung zu arbeiten, sondern erforsche was mir im Moment wichtig ist."

Ihr jüngstes Werk, "One plus one", das zu Beginn des heurigen Im Puls-Festivals zur begeistert aufgenommenen Uraufführung kam, markiert einen neuen Schritt in ihrer Entwicklung. Waren es bislang - wie sie es nennt - "schwere Stücke", die vom Aneinanderreiben gegensätzlicher Kräfte lebten, strebt "One plus one" nach produktiver Harmonie - sowohl zwischen der Musik und dem Tanz, als auch zwischen den Tänzern. Mit den Kompositionen von Max Nagl, den Tänzern, die sich aus Gaiggs "2nd Nature Dance Group" und dem "Tanztheater Wien" rekrutieren, bietet sich den Publikum in den Wiener Sofiensälen ein atmosphärisch dichtes, mit großer Ernsthaftigkeit erarbeitetes Spiel der Möglichkeiten eines musikalisch-tänzerischen Dialogs.

Willi Dorner kommt aus dem niederösterreichischen Berndorf. "Für die Eltern" inskripierte der 1959 Geborene zunächst die Fächer Geschichte und Politologie an der Universität Wien um sich dann endgültig für das Studium Tanzpädagogik am Konservatorium der Stadt Wien zu entscheiden. Bald jedoch merkte er, daß hier die Ausbildungsmöglichkeiten beschränkt waren.

Während und nach dem Studium bildete er sich bei vielen Workshops weiter, unter anderem in Wien, Berlin und New York; die Beschäftigung mit der Kontaktimprovisation, der Alexandertechnik und anderen Releasetechniken markieren seine Entwicklung dieser Zeit. Ende der 80er Jahre tanzte er bereits in den Kompagnien von Nina Martin (New York) und Mark Tompkins (Paris). 1990 entstand sein erstes Stück "Fremdling(in)", eine Arbeit über Georg Trakl. Ein anderes seiner frühen Stücke, ein von Willi Dorners ländlicher Herkunft inspiriertes Stück "Treid", wurde von Konstantin Wulff verfilmt und wird heuer bei der Film-Video-Nacht beim Im Puls-Festival gezeigt.

Willi Dorner ist einer der wenigen Wiener Choreographen, die kontinuierlich ihre internationalen Kontakte aufgebaut haben und bei der Entstehung von Stücken auch die kommerzielle Seite nicht völlig außer acht lassen. Ein Beispiel dafür ist seine "Single Frenzy"-Trilogie ("Intertwining", "Why isn't it disco?", "Privatgrund"), entstanden in den Jahren von 1996 bis 1998. "Meine Strategie war: ich kann einen ganzen Abend verkaufen oder jedes einzeln, beziehungsweise das Kinderstück ("Why isn't it disco?) auch an Schulen verkaufen", erinnert sich Willi Dorner.

Zu diesem festen Standbein in Wien kamen zahlreiche Gastspiele, unter anderem in Ungarn, Deutschland, Griechenland und Venezuela. Neben der Tourneetätigkeit choreografierte Dorner das Männerduett "Intertwinig". Die nächste Stufe war das Duett "ein-ander", in das durch eine Tänzerin auch die weibliche Komponente eingebracht wurde. In den Wiener Sofiensälen wird bei der Uraufführung von "Mazy" nun die dritte Stufe dieser Arbeit zu sehen sein, deren Ergebnisse bislang mit nahezu euphorischen Kritiken bedacht wurden. "Mazy", vom englischen "maze" (Labyrinth) kommend, hat einen tiefen, auf der Phänomenologie des französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty basierenden Hintergrund.

Willi Dorner geht bei dieser Arbeit völlig von der üblichen Tanzästhetik mit Lichtinszenierung und Bühnenbild weg und erforscht allein mittels des "ungeschminkten" Tanzgeschehens, der Spiegelung im Videomonitor, die Möglichkeiten reflexiver Wahrnehmung.

7. August, 21 Uhr. Christine Gaigg - TTW & Max Nagl: "one plus one" 8. August, 20 Uhr. Motion Time: Tanz-Film & Videonacht 12. und 14. August, 21 Uhr. Compagnie Willi Dorner: "Mazy" Sofiensäle, Marxergasse 17, 1030 Wien, Informationen: 01/523 55 58

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung