Ungleichheit im globalen Dorf

19451960198020002020

Schon in Kolonialzeiten flossen mehr Ressourcen aus dem Süden in den Norden als umgekehrt, ein Phänomen, das sich im Zeichen der Globalisierung fortsetzt.

19451960198020002020

Schon in Kolonialzeiten flossen mehr Ressourcen aus dem Süden in den Norden als umgekehrt, ein Phänomen, das sich im Zeichen der Globalisierung fortsetzt.

Werbung
Werbung
Werbung

Im letzten Jahrzehnt hat die Globalisierung eine neue Dimension angenommen und auch zur Zunahme und Beschleunigung einer Umverteilung vom Süden in den Norden beigetragen. Dies soll an Hand einiger Bereiche und konkreter Beispiele aufgezeigt werden.

1. Die Schuldentilgung ist höher als die Entwicklungshilfe Ein auch für Außenstehende ins Auge springender Geldtransfer vom Süden in den Norden sind die Schuldenrückzahlungen der Länder der "Dritten Welt" an die Industrieländer. 1999 machte sie 3.810 Milliarden Schilling aus. Wir wissen heute, dass die erhaltenen Kredite nur zu einem geringen Teil für produktive Investitionen verwendet und vielfach von diktatorischen Regimen zur eigenen Bereicherung und für Militärausgaben missbraucht wurden. Veränderungen der Wechselkursparitäten und die Erhöhung der Kreditzinsen führten dazu, dass sich die Gesamtschuldenhöhe trotz gestiegenen Schuldendienstes seit den achtziger Jahren je nach Region verdrei- bis versiebenfacht hat.

Gleichzeitig verschlechterten sich die Austauschbedingungen: Die Länder im Süden verzeichneten wegen fallender Rohstoffpreise geringere Einnahmen, mussten aber für die notwendigen Importe aus den Gläubigerländern im Norden immer mehr bezahlen. Außerdem sank die Entwicklungshilfe der OECD-Länder von 950 Milliarden Schilling 1990 auf 750 Milliarden 1998. Die Gegenüberstellung ist im Falle von Sub-Sahara-Afrika besonders eklatant: Der Schuldendienst betrug 230 Milliarden Schilling, die Entwicklungshilfe nur 180 Milliarden (bei rückläufigem Pro-Kopf-Einkommen in diesen Ländern).

In Südamerika ist Ecuador mit über 195 Milliarden Schilling öffentlicher Auslandsschuld hoffnungslos überschuldet. Sein Schuldenstand hat sich zwischen 1980 und 1998 fast vervierfacht, der Schuldendienst macht 33 Prozent des BIP und (1995) 50 Prozent des Staatshaushalts aus - aber nur 14 Prozent werden für die Bildung und fünf Prozent für die Gesundheit aufgewendet. Armut und politisches Chaos führen zur Emigration in die reichen Länder des Nordens: Heute leben zehn Prozent aller Ecuadorianer im Ausland und erbringen dort überwiegend unterbezahlte Dienstleistungen.

2. Landwirtschaftsexporte Gehen zu Lasten der Ernährungssicherheit der Armen Laut Welternährungsorganisation (FAO) hatten 840 Millionen Menschen am Ende des zweiten Jahrtausends nicht genug zu essen. Aber die Liberalisierung des internationalen Handels mit Agrarprodukten trug meist nicht zur Erhöhung der Ernährungssicherheit der Armen in der "Dritten Welt" bei. Im Süden bedeutet die Liberalisierung des Handels mehr Importe (oft zu Dumpingpreisen) aus dem Norden, gegen die sich die Entwicklungsländer zum Schutz ihres Agrarsektors und der Kleinbauern nicht wehren dürfen. Gewinner sind die Großfarmen, transnationalen Konzerne und Ex- bzw. Importeure.

Die Pharmariesen festigen ihre Position Auf den Philippinen zum Beispiel verpflichtete sich die Regierung, die Zölle auf Agrarprodukte wie Reis, Mais, Zucker und Rindfleisch über zehn Jahre um 24 Prozent zu senken. Aber statt die Selbstversorgung durch die heimische Nahrungsproduktion anzukurbeln, wurde der Schwerpunkt auf den Import von Nahrungsmitteln verlegt. Die Importbeschränkungen für Reis und andere Getreidesorten wurden aufgehoben und das staatliche Monopol auf den Ex- und Import von Reis wurde beseitigt. Die Produktion von Exportprodukten (etwa Blumen) wurde ermutigt. Durch diese Politik wurde die Getreideanbaufläche zwischen 1993 und 1998 von fünf auf zwei Millionen Hektar verringert.

Vorteile aus der Handelsliberalisierung hatten meist nur die Produzenten und Exporteure von Nahrungsmitteln und Samen im Norden und die Importeure im Süden. Die Armen dort mussten dagegen höhere Preise für die Grundnahrungsmittel zahlen und ihre Ernährungssicherheit ist immer weniger gewährleistet.

3. Pharmagewinne im Norden dank Erhöhung der Medikamentenpreise im Süden Millionen Menschen sterben jährlich an ansteckenden Krankheiten (AIDS, TBC oder Malaria). Die meisten gehören zu den ärmsten Schichten in der "Dritten Welt". Das Auftauchen neuer Krankheiten und die zunehmende Resistenz von Varianten bekannter Krankheitserreger gegenüber den bisher wirksamen Medikamenten erhöht den Bedarf nach neuen Arzneien. Durch das Abkommen über handelsbezogene Aspekte von intellektuellen Eigentumsrechten (TRIPS) wurden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, einen mindestens 20-jährigen Schutz für alle Neuerungen im Technologiebereich, einschließlich der Medikamente, zu garantieren.

Dadurch werden die großen Pharmafirmen des Nordens in die Lage versetzt, ihre globale Marktbeherrschung zu festigen. Die Regelung wird die Erzeugung billiger Antibiotika (mit gleicher Wirkung wie die teuren, patentierten) verzögern. Die nicht-patentierten (generischen) Versionen von Antibiotika können weniger als ein Achtel entsprechender patentierter Produkte kosten.

Die erwähnten Bestimmungen gewähren den Entwicklungsländern zwar beschränkte Möglichkeiten, die strengen Regeln im Falle von Katastrophensituationen nicht zu beachten. Solche Maßnahmen dieser Länder wurden aber in der Vergangenheit von den Pharmafirmen bekämpft. In Kenya, wo ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung HIV-positiv ist, erhalten nur zwei Prozent die notwendigen Medikamente. Dürfte das Land ein entsprechendes generisches Medikament aus Thailand importieren, könnten die Behandlungskosten von 45.000 auf 1.560 Schilling verringert werden. Der Patentinhaber ergriff Maßnahmen, um diese Importe zu unterbinden - keineswegs ein isolierter Fall, ist doch ähnliches aus Südafrika, Thailand und Ghana bekannt. Das Problem ist hier der politische Einfluss der großen Pharmafirmen, besonders aus den USA, denen es gelingt, die Handelspolitik ihrer Firmenstrategie dienstbar zu machen. Im vergangenen Jahr haben sich einige Entwicklungsländer der Androhung von Sanktionen gegenüber gesehen, weil sie den strengen Patentregeln der US-Firmen-Lobby nicht entsprochen haben.

Genetisches Material aus der Dritten Welt Im Gegensatz zu den meisten Industrieländern müssen in den Entwicklungsländern die Kosten der medizinischen Versorgung meist aus den Taschen der Kranken finanziert werden, da keine Sozial- oder Krankenversicherung existiert und der Staat zu wenig Mittel für den Gesundheitsbereich hat. Die hohen Behandlungskosten führen dazu, dass die medizinische Behandlung entweder hinausgeschoben oder überhaupt nicht durchgeführt wird, oder dass diese Ausgaben zu Lasten der Ausgaben für die Ernährung und die Ausbildung gehen.

Ein erst langsam wahrgenommener Aspekt des Ressourcentransfers vom Süden in den Norden ist die sogenannte Bio-Piraterie. Hier geht es darum, dass Pharmakonzerne vor allem aus den Urwäldern des Südens ohne Wissen und Einwilligung der dort lebenden Bevölkerung und meist auch ohne Zustimmung der nationalen Regierung Proben von traditionellen Heilpflanzen entnehmen und in ihre Labors im Norden bringen. Nach erfolgreicher Auswertung der Information sehen sich dann die beraubten Länder importierten Medikamenten gegenüber, die auf Grund der Analyse der Wirkstoffe der tropischen Pflanzen produziert werden konnten. So kam es schon dazu, dass in den Ursprungsländern der "Rohstoffe" für Produkte bezahlt werden musste, die auf einem dort seit Jahrhunderten vorhanden Wissen basieren, das aber patentrechtlich nicht geschützt war.

4. Personalkosten werden im Norden eingespart durch Produktionsauslagerungen in den Süden Derzeit ist eine weltweite Umstrukturierung der Produktion und der Erwerbsarbeit im Gange. Die wirtschaftliche Liberalisierung und der schnelle technologische Fortschritt, besonders in der Informatik, sind die Wegbereiter dieser Veränderungen. In den siebziger- und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde in vielen Entwicklungsländern sogenannte Exportproduktionszonen (EPZ) propagiert. Die Regierung des Entwicklungslandes stellte Infrastruktur und Steuerbegünstigungen zur Verfügung und verbot gewerkschaftliche Tätigkeit. Die nationalen Arbeitsgesetze und die Umweltstandards wurden durch die Investoren ignoriert.

In 70 Entwicklungs- und Schwellenländern wurden insgesamt 500 EPZ errichtet, die einschließlich der Sonderwirtschaftszonen in China 74,5 Millionen Menschen (über 70 Prozent Frauen) beschäftigen. Arbeitsintensive Produktionen, etwa in der Elektronik-, Bekleidungs- oder Spielzeugindustrie werden dorthin verlagert, um die Kosten zu senken. Transnationale Konzerne zahlen in diesen EPZ viel geringere Löhne als in den Industrieländern. So werden die Märkte im Norden mit billigen Produkten versorgt, was Absatz und Gewinne erhöht.

Die Entlohnung in den EPZ sichert kaum die Existenz der Arbeitenden und ihrer Familien. Die Arbeitsbedingungen sind ausbeuterisch, die Gesundheits- und Arbeitsschutzbestimmungen werden nicht eingehalten, die Menschenrechte vielfach verletzt. Organisationen der Zivilgesellschaft haben durch Informations- und Lobby-Arbeit versucht, diese skandalösen Arbeitsbedingungen zu verbessern, etwa die Clean Clothes Kampagne.

Alle diese Beispiele zeigen, dass in vielen Bereichen die Globalisierung zu einer verstärkten Umverteilung von Ressourcen aus dem Süden in den Norden führt. Das geschieht freilich nicht immer so direkt wie im Zusammenhang mit der internationalen Verschuldung der "Dritten Welt". Es gibt zahlreiche Mechanismen, die dazu beitragen.

Die Globalisierung ist nicht aufzuhalten, aber die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern muss verringert werden. Dazu ist eine Globalisierung der Solidarität notwendig, wie sie auch Johannes Paul II. wiederholt gefordert hat. Es bedarf einer weltweiten Vernetzung zivilgesellschaftlicher Gruppen, die sich für eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Lebenschancen einsetzen. Dabei geht es nicht um gewaltsame Proteste, sondern um ein wohldurchdachtes und strategisch angelegtes internationales Vorgehen, das auch die Kapazität einschließt, realisierbare Alternativorschläge zu machen. Die weltweite Erlassjahr 2000-Bewegung ist mit ihren 24.000 Millionen Unterschriften ein spektakuläres aber keineswegs das einzige Beispiel für Bemühungen, die Umverteilung von den Armen dieser Welt zu den bereits Privilegierten und Wohlhabenden einzubremsen.

Der Autor ist Entwicklungsexperte und Vizepräsident der Katholischen Aktion Österreichs.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung