Unheimliche Parallelen

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Giuseppe Genna spielt raffiniert mit spannender Fiktion und bedrohlicher Wirklichkeit. "Im Namen von Ismael" ist ein spannender Politthriller.

Die Geheimdienste haben eine Eigenschaft mit Gott gemeinsam und unterscheiden sich von ihm durch eine andere: Wie Gott sind sie allwissend, im Unterschied zu Gott haben sie nichts erschaffen." Unzählige Publikationen versuchen ihre Natur zu ergründen, pseudowissenschaftlich oder rein fiktional. Manchen Agenten findet man später in Regierungsämtern. Wladimir Putin diente einst dem KGB, auf Peter Medgyessys Vergangenheit stürzten sich in den letzten Monaten Presse und Opposition.

Was wissen wir also schon über die Arbeit der Geheimdienste? Vielleicht agieren sie mitten unter uns? Haben wir zu viele James Bond-Filme gesehen, zu viele Agententhriller gelesen? Einer davon könnte Giuseppe Gennas Erfolgsroman "Im Namen Ismaels" gewesen sein. Darin werden ungeklärte wirkliche Verbrechen wie die Ermordung Olof Palmes mit fiktiven, etwa einem Attentat auf Henry Kissinger, in Verbindung gebracht.

Zwischen den Eckpfeilern der Tatsachen konstruiert der Autor das Netz einer möglichen Wahrheit, die, wenn auch erfunden, den Gesetzen der Wirklichkeit verpflichtet bleibt. Sein zuweilen etwas trockener und scheinbar unbeteiligter Stil sowie die Aneinanderreihung kurzer Szenen geben sich den Anschein einer penibel recherchierten und äußerst spannenden Dokumentation.

Mailand 1962. Enrico Mattei, der Wirtschaftsmagnat und "mächtigste Mann Italiens", kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Am selben Tag hat man unter einer Steinplatte des Partisanendenkmals am Giuriati-Sportplatz die Leiche eines Babys gefunden. Der talentierte junge Polizist David Montorsi verfolgt die spärlichen Spuren - etwas zu engagiert und vor allem etwas zu erfolgreich. Als er beginnt, Zusammenhänge zwischen den beiden Todesfällen zu ahnen, wird der Fall seiner Abteilung entzogen. Gleichzeitig macht sich die CIA in Italien breit. Und der Name eines Geheimbundes taucht auf: Die Kinder Ismaels.

Knapp 40 Jahre später, Mailand 2001. Kurz vor einer Tagung in Cernobbio, auf der internationale Prominenz aus Ost und West erwartet wird, findet man in der Via Padova eine zunächst nicht identifizierbare Leiche. Die Ermittlungen führen ins Sadomaso-Milieu, zu einer Sekte namens Science Religion und nicht zuletzt zur Annahme, auf der Tagung sei ein Attentat geplant. Bleiben nur noch ein paar nicht ganz unwesentliche Fragen offen: Wer wen wie und warum? Inspektor Guido Lopez gibt sich alle Mühe, den Dingen auf den Grund zu gehen, reist durch halb Europa, nach Hamburg, Paris und Brüssel, aber wer oder was ist Ismael?

Giuseppe Genna, 1969 in Mailand geboren, hat mit seinem Roman bewiesen, dass er vom Schreiben ebensoviel versteht wie von den Netzwerken internationaler Verbrechen. Zunächst Leiter einer Literaturzeitschrift, arbeitete er später als Fernsehredakteur und untersuchte 1995 im Auftrag des italienischen Parlaments den Terrorismus in Italien und Europa. Ein Mann vom Fach also.

Die Handlung nimmt immer wieder Bezug auf reale Ereignisse der letzten Jahrzehnte und baut sie so geschickt in die Handlung ein, dass der Leser Realität und Fiktion kaum mehr unterscheiden kann. Eine konkrete Parallele zu realem Geschehen jüngster Zeit rückt das Buch - wenn sie auch nicht direkt angesprochen wird - in die Nähe eines Schlüsselromans der unheimlichen Art: Amerikanische Interessen haben die "Kinder Ismaels" groß werden lassen, bis diese sich schließlich jeder Kontrolle entzogen und begannen, eigene Ziele zu verfolgen, nach wie vor keineswegs zimperlich in der Wahl ihrer Mittel. Der Vergleich mit den Taliban liegt auf der Hand.

Wäre nicht eingangs der eindeutige Hinweis auf die literarische Phantasie, in der die Namen von Unternehmen, Institutionen, Medien und Persönlichkeiten der Politik "ausschließlich der Charakterisierung von Gestalten, Bildern und Inhalten kollektiver Träume" dienen und damit einer "mythologischen Ebene" angehören, "die nichts mit Informationen oder Meinungen über die historische Wahrheit der Ereignisse" zu tun habe, könnte man den Roman beinahe mit einem brisanten Enthüllungsdossier verwechseln, das ähnliche Panikreaktionen auslösen könnte wie anno dazumal Orson Welles' Meldung von der Landung von Marsmenschen in einem Hörspiel.

Ein allwissender Erzähler treibt die Handlung abwechselnd auf zwei Zeitebenen voran, 1962 und 2001. Die zentrale Geschichte beansprucht kaum eine Woche im März 2001. Die detaillierten Datums- und Zeitangaben zu Beginn jedes Kapitels dienen der Orientierung, aber ebenso einer weiteren Vorspiegelung von Authentizität. Die ebenfalls den kurzen Kapiteln vorangestellten Zitate reichen von der Bibel und anderen religösen und philosophischen Schriften quer durch die Literaturgeschichte (Euripides, Kafka, Eco, aber auch Ellroy oder Greene) bis zu historischen Texten, geben Hinweise auf kommende Entwicklungen oder führen auf falsche Fährten. Zusammen mit dem ausgeklügelten Spiel zwischen Fiktion und Realität weisen sie den Roman als Werk der Postmoderne aus.

Aber abgesehen von diesen literarischen Finessen: Genna versteht es vor allem, seine Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln. Beginn und Spannungsaufbau eines Politthrillers sind ja oft geglückt, mit der Auflösung der kryptischen Elemente sacken jedoch viele ins Banale oder Lächerliche ab. Nicht so "Im Namen Ismaels": Dieser Roman bleibt stimmig bis zuletzt. Es wird nicht vorgegeben, alle Täter entlarven, alles bis ins kleinste Detail aufklären zu können, es dürfen Fragen offen bleiben. Ismael ist nicht so einfach zu erfassen. Und wer behauptet schon, alle Fäden europäischer Geheimdienste zu obskuren Sekten zu kennen?

IM NAMEN VON ISMAEL. Roman von Giuseppe Genna. Übersetzung: Friederike Hausmann und Maja Pflug

Diogenes Verlag, Zürich 2002

273 Seiten, geb., e 25,60

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