Unherkömmliche Gedichte

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C.W. Aigners Lyrik: Unergründbar geht die Zuneigung auf Pfoten auch zum Leser hin.

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C.W. Aigners Lyrik: Unergründbar geht die Zuneigung auf Pfoten auch zum Leser hin.

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Ich wills einfach sagen Da war eine zufällige Berührung und ein Lächeln dazu Nicht mehr. Aber immer noch entstehn daraus Tage als schaukle die Erde an einem großen blauseidenen Schirm Dies ist das Titelgedicht im Bändchen "Die Berührung" des Salzburger Dichters C. W. Aigner, geboren 1954. Die leichte Berührung ist eine schwere Erschütterung, die 52 Gedichte auslösen wie ein Sturm, der "beginnt am Haus zu saugen ... der mich dreht/ ein Stück hebt/ während ich auf der Erde/ gehende Bewegungen versuche". Liebe ist ausgebrochen, aber so "feinstgerieben", daß das große Wort niemals fällt und "Zuneigung" die stärkste Vokabel dafür ist.

Ein Liebender also - oder eine Liebende - tritt auf wie ein Gezeichneter nach einem Schlag. Seine Bewegungen als Rekonvaleszent führen ihn, nach einem kurzen "schwarzen Sommer" und einer "braunhaarigen Herbstin", in einen eisigen Winter hinein, in eine Winterreise. Alleingänge, denn "du bist weit fortgegangen". Doch die - oder der - Entschwundene ist überall, "als gingst du in der Luft"; am Strand dehnen sich die Wellen/ immer in deine Richtung". Todessymbole klingen an: "Ich hör dich immer noch kommen/ bei Tag wars der Regen wie kleine/ trommelnde Knochen die Straße herab". Das Wandern nimmt eine kosmische Wendung: "Den Schultern von Orion/ fehlt ein Licht wie du/ mir fehlst. Ich geh im Raum/ Spiralen. Mich nimmt der nächste/ kreuzende Komet". Doch der Suchende sucht gar nicht mehr, die Berührung hat in ihm eine bleibende Veränderung bewirkt, er spricht zum Verlust wie zu einem Gewinn: "Bleib. Niemand sonst kann sehn was folgt. Bleib". Es bleibt eine Natursicht als Geschenk des Abschieds: "Greifbares Abendlicht/ Mit feinen Stichen näht/ der Regen Luft auf den See". Poetische Ernte einer Winterreise.

Aigners Gedichte sind "unherkömmlich" (Sarah Kirsch). Natur wird für den eigenen Gebrauch zurechtgesehen, das Ich und das Du bewegen sich in ihr konturlos wie "Taggespenster", Original und Metapher halten sich austauschbar. Manches bleibt kryptisch, wenn man nicht Aigners Prosa kennt, etwa den "Anti Amor" (1994), wo seine Theorie der Liebe ausgeschrieben ist. Die Gedichte sind reimlos, oft arhythmisch, antirhythmisch, Layout und Sprechrhythmus kongruieren selten, die Rede "knirscht wie mit den Zähnen", als wolle der Liebende gar nicht verstanden werden. Aber man wird ständig mit Fundstücken belohnt, "unergründbar geht die Zuneigung auf Pfoten" auch zum Leser hin. Und manchmal springt einen die Schlußzeile an, das Innerste berührend, wie bei Rilke: "Du mußt dein Leben ändern".

Mit diesen unherkömmlichen Gedichten erlaub ich mir unherkömmlich umzugehen. Ich löse die Bindung des Buchs, lege die Blätter wie Tarotkarten nach Mustern aus: Schnee, Nebel, Gewitter, Licht, Unsterblichkeit. Ich wage Umstellungen, streiche Worte, ich schneide Gedichte wie einen Film am Schneidetisch. Die Teile wachsen neu zusammen, so lebendig sind die Gedichte. Doch das schönste wähle ich für mich unverändert aus: STERNENPROBE.

Einander in die Augen sehn für eine Nacht und einen Morgen Auf einmal fließt ein Stern nicht größer als ein Bienenkopf an einem Faden Licht behutsam wie man die Hände sinken läßt und die Tischkante nicht berührt Wenn das geschieht ist es für lange Die Berührung. Gedichte von Christoph Wilhelm Aigner. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1998 71 Seiten, brosch., öS 195.- e 14,17

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