Unschuld und Zärtlichkeit

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Jane Campion, einst Regisseurin von „Das Piano“, nimmt sich in ihrem neuen Film „Bright Star“ das vorviktorianische England und dessen verkannten Dichter John Keats vor – eine Paraderolle für den britischen Jung-Star Ben Whishaw. Das Gespräch führte Alexandra Zawia

Der 29-jährige Ben Whishaw hegt eine Vorliebe für tiefgründige Charaktere. 2006 erlangte er als Serienmörder in Tom Tykwers Roman-Verfilmung „Das Parfum” internationale Bekanntheit, wurde aber in seiner Heimat England schon davor als Hamlet in Trevor Nunns Produktion am Old Victorian Theatre gefeiert. In „Bright Star“ gelingt ihm ein sensibel geführter John Keats.

Die Furche: Mögen Sie Liebesgeschichten?

Ben Whishaw: Ich denke, wir können gute, ehrliche Liebesgeschichten immer gebrauchen. Was mir besonders an der von „Bright Star“ sehr gut gefällt, ist ihre Unschuld und ihre Zärtlichkeit. Die Hindernisse, die John Keats und Fanny Brawne zu überwinden hatten, um zusammen zu sein, gibt ihrer Liebe eine poetische Dimension, die mich sehr bewegt. Die Art, wie sie sich liebten und ihre Liebe kommunizierten, war sehr sanft und irgendwie zurückgehalten, aber ich finde das wunderschön und auf gewisse Weise viel intensiver als so manches völlig Hemmungslose. Es ist so, dass die Romantik jener Zeit als eine Gegenbewegung zur Industrialisierung entstand, gegen die Entmenschlichung der Gesellschaft. Die Romantiker waren auf einer Mission, wieder etwas in die Herzen der Menschen zu legen.

Die Furche: Die Verbindung zwischen zwei Menschen in der heutigen Zeit findet ihren Ausdruck oft kaum noch in Gedichten oder handgeschriebenen Briefen …

Whishaw: Stimmt, heute kann E-Mail-Beziehungen führen, ohne sich je zwischenmenschlich zu begegnen. Die Abschottung von realen, also nicht virtuellen, Sozialkontakten wird sicherlich gefördert durch die wachsenden Möglichkeiten, „mit der ganzen Welt in Kontakt zu treten“, ohne einen Schritt vor die Tür setzen zu müssen. Ich denke aber, jedes Theaterstück, jeder Film, egal was, das in irgendeiner Weise die zwischenmenschliche Interaktion und real ausgelebte Liebe fördert oder in den Mittelpunkt stellt, trägt dazu bei, solche Defizite auszubalancieren.

Die Furche: Wie haben Sie sich in John Keats eingefühlt? Lasen Sie alle seine Gedichte?

Whishaw: Ja, tatsächlich. Regisseurin Jane Campion bestand darauf, dass ich ein echter John Keats-Experte werde. Ich habe einen wahren Berg an Büchern gelesen, akademische Analysen, all seine Briefe. Das hat mir wirklich Sicherheit gegeben, dass ich die Materie kenne, in der wir uns da bewegen, es gab mir das nötige Selbstvertrauen. Man weiß ja nicht so viel über Keats, nicht, wie er ausgesehen hat, wie er geklungen hat. Da nimmt man sich poetische Freiheiten heraus, auch in der Interpretation, wie er mit seinem Leben umgegangen ist. Er ist mit 25 Jahren gestorben und war zu Lebzeiten alles andere als anerkannt, sein erstes Werk wurde von der Kritik damals regelrecht zerrissen. Ich fragte mich oft, wie er es eigentlich geschafft hat, jeden Tag wieder aufzustehen.

Die Furche: Wie überstehen Sie Tiefs?

Whishaw: Auch durch Arbeit. Vor allem die rauere, direktere Arbeit auf der Theaterbühne holt mich immer so sehr in das Jetzt, dass es regelrecht heilsam auf mich wirkt.

Die Furche: Welche Vergleiche ziehen Sie aus der Arbeit mit Jane Campion und mit Tom Tykwer?

Whishaw: Auf gewisse Weise fühlt es sich ähnlich an, mit ihnen zu arbeiten, weil sie beide obsessiv sind, in dem, was sie tun. Keiner von ihnen würde mit einer Szene aufhören, bevor sie nicht genau so ist, wie sie eben sein soll. Beide habe ich auch als sehr sensible Menschen erlebt, ausgezeichnete Zuhörer und Teamarbeiter. Sie legen beide viel Wert auf die Zusammenarbeit mit der Crew, mit den Schauspielern. Beide sind sich also eher ähnlich, als dass ich besondere Unterschiede ausmachen könnte.

Die Furche: Korrespondiert Ihre offensichtliche Vorliebe für komplexe, zurückgezogene Charaktere mit Ihrer eigenen Persönlichkeit? Oder sind Sie in Wirklichkeit total extrovertiert und überdreht?

Whishaw: (lacht) Nein, ich denke nicht, dass ich besonders extrovertiert oder überdreht bin. Ich bin eher schüchtern. Es überrascht mich in der Tat immer, wenn ich auf meine bisherigen Rollen zurückschaue, wie viel von sich selbst man einbringt, auch wenn einem das gar nicht bewusst ist. Man macht sich damit schon sehr verletzlich, weil man sich einer Öffentlichkeit aussetzt. Schauspielen ist eine gewisse Form von Exhibitionismus.

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