Unsicherheit, Angst, Zweifel gehören dazu

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Eine vertiefte Lektüre der Osterberichte, vor allem des Johannesevangeliums, lässt die ersten Zeuginnen und Zeugen in einem ungewohnten, sehr modernen Licht erscheinen.

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Eine vertiefte Lektüre der Osterberichte, vor allem des Johannesevangeliums, lässt die ersten Zeuginnen und Zeugen in einem ungewohnten, sehr modernen Licht erscheinen.

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Eine der Lesungen für das Osterfest ist die Perikope von der Begegnung am leeren Grab zwischen Maria von Magdala und dem, den sie zunächst für den Gärtner hält und dann als den Herrn erkennt (Joh 20,1-18). Bereits der Begriff, der eine Evangelienlesung im Gottesdienst bezeichnet, sollte zum Nachdenken anregen: "Perikope" ist dem Griechischen entlehnt und bezeichnet ursprünglich etwas "Verstümmeltes", etwas "Abgeschnittenes". Tatsächlich darf man sagen, dass mit der Wahl des Abschnitts die Osterbotschaft des Johannesevangeliums eher verstümmelt wird. Das wird deutlich, wenn man nicht mit dem üblichen Abschluss die Lektüre beendet. Gerade der letzte Satz der Perikope ist aufschlussreich. In der Lutherübersetzung heißt es: "Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt." Nach zahlreichen Bibelhandschriften - so zum Beispiel auch im Kodex Alexandrinus - formuliert der Evangelist jedoch distanzierter: "Maria von Magdala geht und verkündet den Jüngern, sie habe den Herrn gesehen und er habe ihr dies gesagt."

Verrammelte Türen

Der Eindruck, dass der Evangelist selbst nicht so ganz glauben kann, was diese Frau erzählt, wird dann auch durch den weiteren Gang der Erzählung bestätigt: Nachdem Maria von Magdala zurückgekehrt ist und den Jüngern berichtet hat, verrammeln diese die Türen und verstecken sich, wie es im Text des Evangeliums heißt, "aus Angst vor den Juden" (Joh 20,19). Eine Reaktion, die so gar nicht zur Osterfreude passen möchte, die jedoch erst ins Auge springt, wenn der Text als Ganzes gelesen wird. Der Unterschied im Verhalten wird besonders deutlich, wenn man als Vergleich den Bericht des Lukasevangelium liest (Lk 24,13-35), demzufolge Jesus den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus begegnet, ein Stück mit ihnen gemeinsam geht und dann am Abend von den beiden Jüngern gebeten wird, doch bei ihnen zu bleiben. Hinter verschlossenen Türen, in der Sicherheit der Herberge, erkennen sie den Auferstandenen beim Brechen des Brotes - und dann gibt es kein Halten mehr. Noch in der Nacht kehren sie nach Jerusalem zurück, die Freude über die Auferstehung ist so groß, dass sie trotz der Gefahren, die eine Reise in der Nacht mit sich brachte, aufbrechen, um die anderen an ihrer Freude teilhaben zu lassen. Man sollte nicht unterschätzen, wie gefährlich eine derartige "Nachtwanderung" in der Antike war. Eine gewisse Sicherheit war bei Reisen tagsüber gewährleistet, nachts waren die Straßen verlassen, die Stadttore waren im Normalfall versperrt, sodass man überhaupt nicht in die Städte hineinkam, und vor allem Wegelagerer und andere zwielichtige Gestalten waren nachts unterwegs. Während also diese Jünger die Gefahren der Nacht gering schätzten, um nur rasch den anderen berichten zu können, findet die Begegnung am leeren Grab nach dem Johannesevangelium am frühen Morgen statt. Es ist somit am hellen Tag, dass sich die Jünger eingesperrt haben, weil sie sich angesichts der frohen Botschaft, welche ihnen von Maria von Magdala überbracht wird, nicht einmal tagsüber auf die Straße trauen. Das ist ein Aspekt des Osterevangeliums aus dem Johannesevangelium, der meist nicht wahrgenommen wird, wenn nur der verstümmelte Text gelesen wird, der mit der Verkündigung der Maria an die Jünger endet.

Seltsamer Wettlauf zum Grab

Allerdings wird damit die Frage aufgeworfen, was denn der Evangelist mit dieser Erzählung bezweckte, was er seinen Lesern mitteilen wollte. Die reine Osterfreude kommt ja nicht sofort bei den Jüngern auf, vielmehr scheinen Angst und Zweifel zu überwiegen. Um dies zu verstehen, muss man wahrscheinlich genauer hinsehen, als dies in den meisten Fällen geschieht. Die Erzählung im Johannesevangelium, die vom leeren Grab berichtet, ist gleich in mehrfacher Hinsicht tiefgründiger, als dies meist wahrgenommen wird. Maria geht am "ersten Tag der Woche" in aller Frühe zum Grab und findet es offen und leer. Als sie dies den Jüngern berichtet, laufen zwei von ihnen - Petrus und der Jünger, "den Jesus liebte" - zum Ort des Geschehens. Dieser namenlose Jünger ist schneller, traut sich aber offensichtlich nicht in das Grab hinein, sondern bleibt außen am Eingang stehen. Von außen sieht er die Leinentücher, in die der Leichnam gewickelt war. Petrus holt ihn ein, betritt als erster das Grab. Die Leinentücher und das Schweißtuch, das Jesus um den Kopf gebunden worden war, liegen getrennt voneinander. Dann erst betritt auch der andere Jünger das Grab (Joh 20,1-8a). Darauf folgt dieser höchst merkwürdige Satz (Joh 20,8b,9): "Und er sah und glaubte. Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste." Ein rätselhafter Satz, der schon vielen Auslegern Schwierigkeiten bereitet hat. Weiter berichtet das Johannesevangelium, dass beide wieder zu den anderen zurückgegangen wären. Auch hier begegnet eine seltsame Antiklimax der Erzählung. Nichts ist zu merken von einer direkten Freude über die Auferstehung, vielmehr: "Sie verstanden die Schrift nicht." Maria, die dann vor dem leeren Grab dem Auferstandenen begegnet, hält diesen für den Gärtner.

Was wollte der Evangelist nun mit dieser Erzählung, bei der die Osterfreude nicht wirklich völlig durchbricht, wenn man sie vollständig liest und nicht bereits mit 20,18 enden lässt? Eine Möglichkeit wäre, dass er dem Leser zu verstehen geben will, dass Auferstehung und das, was sie bedeutet, nicht mit Händen zu greifen ist: Die Jünger stehen im leeren Grab neben den Leichentüchern und begreifen nicht. Maria hat den Auferstandenen vor sich, und erkennt ihn zuerst nicht.

Eine Möglichkeit wäre, dass die Jünger annehmen, Jesus wäre einfach nur - wie Lazarus davor, davon berichtet nur das Johannesevangelium (Joh 11) - von den Toten in dieses Leben zurückgekehrt. Dann wäre es ein logischer Schluss der beiden Jünger beim Anblick der gefalteten Leichentücher.

Ängstliche Männer, mutige Frau

Die Maria reagiert eher emotional: Der Leichnam des Herrn fehlt, und sie denkt an Leichenraub. Sie fragt den, den sie für den Gärtner hält, und zeigt damit, dass sie diesen für einen potentiellen Mitwisser hält. Da Grabschändung in der Antike mit hohen Strafen bewehrt war, setzt sich Maria der Gefahr aus, dass der, den sie fragt, ihr als Mitwisser und Mittäter Übles tun könnte, um seine Tat zu vertuschen. Die Erzählung vertauscht die typischen Geschlechterrollen: Den Männern fehlt der Mut, die Frau riskiert mit dieser Frage theoretisch ihr Leben.

Was bleibt damit von dieser Ostergeschichte? Etwas eigentlich hoch Modernes: Auch wenn sich zweifelsfrei beweisen ließe, dass das Grab leer war, lassen sich höchst unterschiedliche Dinge daraus ableiten: Jesus könnte einfach nur in sein irdisches Leben zurückgekehrt sein. Oder sein Leichnam könnte gestohlen worden sein. Ja, selbst wenn man dem Auferstandenen direkt begegnet, ist noch nicht sicher, dass man ihn auch gleich erkennt. Andere werden daran zweifeln, dass das wahr ist, und den Kopf in den Sand stecken. Die Frage, was Auferstehung bedeutet, hat nach diesem Bericht bereits die ersten Jünger in Unsicherheit, Fehldeutung und Zweifel gestürzt. Im größeren Zusammenhang des Evangeliums gelesen, wirkt dieser Text modern. Die Jünger glauben nicht sofort, sie sind Zweifler und missverstehen die Situation. Dies darf als Einladung verstanden werden, das Johannesevangelium in größeren Zusammenhängen zu lesen, als dies die sonntäglichen Perikopen bieten. Manches wirkt dann erfrischend anders. Gerade weil die ersten Jünger angesichts der Auferstehung Jesu zunächst verunsichert waren, findet sich im Johannesevangelium die Seligpreisung (Joh 20,29): "Selig sind, die nicht sehen und glauben."

Der Autor leitet zwei FWF-Projekte zum Neuen Testament und zu seiner handschriftlichen Überlieferung an der Universität Wien

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