Untergang und Moderne im Theater an der Rax

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn sich österreichische Geschichte, Natur und Seele auf besondere Weise miteinander verbinden, erwacht das Interesse der Reichenauer Festspiele, die heuer neben den bewährten Dramatikern Arthur Schnitzler und Johann Nestroy auch den deutschen Romancier Theodor Fontane sowie ein Auftragswerk zum Gedenken an 1914 auf den Spielplan gesetzt haben. Der Untergang der Habsburgermonarchie bzw. der Ausbruch des Ersten Weltkriegs sind freilich schwierige Themen am Theater. Für die Festspiele Reichenau hat Nicolaus Hagg -seit zehn Jahren bearbeitet er Romane der Weltliteratur für Reichenau -ein eigenes Stück verfasst. Im neuen Spielraum Arenabühne stehen die entscheidenden Wochen vor dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie im Fokus. Da ist einerseits der junge Gavrilo Princip, der unbedingt ein Held sein möchte, sowie der Offizier Apis, Anführer des nationalistischen serbischen Geheimbundes "Schwarze Hand", der die Fäden im Hintergrund zieht. Was passiert, wenn junge Männer sich unsterblich machen und Helden werden wollen, das lehrt uns die Geschichte: 17 Millionen Tote forderte der Erste Weltkrieg. Dezent verweist das Stück auf gegenwärtige Kriege und blickt auf heutige nationalistische Bestrebungen, religiösen Fundamentalismus und falsches Verständnis von Heldentum.

Bertha von Suttner, deren 100. Todestag sich ebenfalls heuer jährt, hat jahrzehntelang vor diesem Krieg gewarnt, auch sie hätte sich als Figur für ein Stück angeboten, nicht zuletzt spiegeln sich an ihrer Biografie zentrale Konflikte um Liebe, Tod und Macht. Schade um diese vertane Chance, denn in "1914" sind die Frauen nur Staffage. Hagg erfindet eine schwangere Verlobte für seinen Attentäter Gavrilo Princip, eine Hure für einen jungen Mitkämpfer Cabrinovic und bringt die Stiefmutter des Erzherzogs, Maria-Therese, auf die Bühne. Da hätte die Nonkonformistin Bertha von Suttner gewiss dichteres Material geliefert.

Ein anderes Verständnis von Mensch-Sein

Eine schöne Entdeckung ist heuer Theodor Fontanes "Effi Briest": Burgschauspielerin Regina Fritsch hat erstmals Regie geführt, und der klugen Akteurin gelingt eine durchdachte Inszenierung. Spannend ist bei Fontane das Zusammenspiel von Politik und Privatem: In Bismarcks Deutschland müssen sich strenge moralische Grundsätze gegen die aufkeimende Moderne behaupten. Der solide Beamte Innstetten ist mit der lebhaften, jungen Effi konfrontiert, hier stehen Mann gegen Frau, Prinzipientreue gegen Empathie, Protestanten gegen Katholiken. Doch die Gegensätze lassen sich auflösen, sobald die Personen Verantwortung für das eigene Tun übernehmen. An jener Stelle überzeugt die Inszenierung besonders, wenn der betrogene Ehemann begreift, dass er keineswegs dem Ehrenkodex folgen und sich mit dem Nebenbuhler zu duellieren braucht. Doch der entscheidende Schritt zur Grenzüberschreitung ist noch nicht gekommen, Unsicherheit, Stolz und falscher Ehrbegriff lassen ihn tun, was er tun muss. Was Fontane in "Effi Briest" anklingen lässt, dekliniert Arthur Schnitzler in "Leutnant Gustl" sowie in "Das weite Land" durch. Nicht zuletzt sind beide Zeitgenossen Sigmund Freuds, dessen Entdeckung der Psychoanalyse die Moderne einleitete. Und beide Autoren wissen, wie tief und unberechenbar die menschlichen Abgründe sein können.

Schnitzlers "Das weite Land" zählt aufgrund der vielschichtigen Auffächerung des Themas als auch des "Schauspielerfutters" zu seinen meistgespielten Stücken. Nach zehn Jahren ist es nun wieder in Reichenau mit Julia Stemberger und Joseph Lorenz zu sehen. Wie "Effi Briest" bietet "Das weite Land" ein umfassendes Bild der bürgerlichen Gesellschaft am Beginn des Umbruchs. Die Männer müssen sich behaupten, doch wissen sie nicht, wie. Die Frauen hingegen blühen auf und gehen pragmatisch vor, stets für ein besseres Leben. Damit ist auch der Übergang zur vierten und letzten Premiere der Festspiele Reichenau 2014 getan: Johann Nestroys "Unverhofft". Auch hier nimmt der Autor seinen Einzelgänger (und vermeintlichen Misanthropen Ignaz von Ledig) aufs Korn, der ganz unverhofft zu einem Kind kommt. Die Damen haben es gerichtet, und am Ende passt es dann für alle perfekt, auch für das Publikum: im gemeinsamen Lachen über den Konflikt zwischen Etikette und einem anderen Verständnis von Mensch-Sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung