Unterm gelben Handschuh ...

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Lesereisen zu britischen Sehenswürdigkeiten und Skurrilitäten.

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Lesereisen zu britischen Sehenswürdigkeiten und Skurrilitäten.

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Unkonventionelle Annäherungen an England und Schottland bieten zwei neue "Picus Lesereisen". So hat jedes Land Besonderheiten zu bieten, die helfen, Einheimische und Touristen zu unterscheiden: Einheimisch ist, wer sie wirklich zu genießen weiß. In Kärnten haben die Kasnudeln diesen Status. In Schottland muss man "haggis" vertragen, ein Würgreizgericht aus allerlei Innereien, das mit Hafermehl vermischt im Schafmagen gekocht wird. Aber auch, wer statt des lauwarmen, für kontinentale Gaumen schalen Ale lieber ein geschmackneutrales helles Bier bestellt, ist schnell als Trinker von "Hühnerpisse" bloßgestellt, während der mehr oder weniger rauchige Whisky überall seine Fans gefunden hat.

Ralf Sotscheck, der als Korrespondent der Berliner "tageszeitung" Großbritannien und Irland kennt, hat aber in seinem Schottland-Bändchen "Whisky, Seetang und karierte Röcke" nicht nur Geschichten um kulinarische Köstlichkeiten Schottlands zu bieten. Er versteht es auch, die Autonomiebewegung samt ihrem hierzulande bekanntesten Repräsentanten Sean Connery interessant zu charakterisieren und weiß der Geschichte um Loch Ness neue historisch-politische Aspekte abzugewinnen. Immerhin hat sich schon weiland Joseph Goebbels in die Diskussion um das Ungeheuer eingemischt und gemeint, eine Nation, die an solchen Quatsch glaube, sei so ungeheuerlich dumm, dass sie keinesfalls den Krieg gewinnen könne. Ein Jahr später meldete eine italienische Zeitung, ein mutiger Kampfflieger habe das Ungeheuer mit einer Bombe getötet.

In dem Büchlein riecht es nach Torf und Seetang. Und nach sozialen Problemen, etwa wenn der Wind der Einsamkeit auf der Insel Iona weht. Sie sucht verzweifelt nach Jugend und wirft per Inserat Netze nach Zuwanderern aus. Hingegen erfahren wir bei der imaginären Fahrt mit dem "Western Highlander", dass er auch "Hirschjäger-Express" genannt wurde, weil er von schottischen Lords und Unterhausabgeordneten für Heimatbesuche am Wochenende benützt wurde. Die Bahnlinie trotzt nicht nur der Privatisierung, sondern der Zug hält auch weiterhin im Bahnhof Glenfinnan für eine Zigarettenpause, da im Zug Rauchverbot herrscht. Geschickt verpackt Sotscheck sein Wissen in persönliche Erlebnisse und weckt beim Leser das Gefühl, mit ihm eine Reise unternommen zu haben.

In den Süden Englands lädt Michael Bengel in "Tea time vor Land's End". Jeder Tritt Geschichte. Jeder Schritt wird von Geschichten unterbrochen. Etwa in Royal Tunbridge Wells, dem königlichen Kurort mit der ältesten Fußgängerzone und den ursprünglich mit roten Pfannenziegeln ausgelegten Straßen, die ihre Verlegung dem Sturz eines zweijährigen Duke of Gloucester in den Dreck verdanken. Mit Schloß Knole ist nicht nur die Geschichte von Virginia Woolf verwoben, und der Ort Brighton wurde von vielen geschätzt. Darunter König George IV, der 1783 zum ersten Mal Seeluft schnupperte, ein Jahr später zum Taubenschießen zurückkehrte und dabei einige Schornsteine zerstörte. Auf der Isle of Wight, Englands Sommerloch, seinem sonnigsten Fleck, kann man auch in fernste Zeiten blickten. Die im Cliff gefundenen Fossilien erinnern daran, wer hier verkehrte, bevor die Touristen kamen. Das Iguanodon, eine Art Rhinozeros-Reptil, lebte hier in Horden.

Man kann nicht heimkehren, ohne die Heimat von Tarka, dem berühmtesten Otter am River Taw, besucht zu haben. Er wurde 1927 durch den Autor Henry Williamson zur Berühmtheit, anhand deren Schicksal der Autor die Magie des Werdens und Vergehens gemäß dem Recht des Stärkeren verherrlichte. Heute führt der Wanderweg auf Tarkas Spuren durch die einsamsten Regionen Devons.

Was mit Virginia Woolf begann, endet mir Daphne Du Maurier und ihrer Schmugglerherberge "Jamaica Inn" im Bodmin Moor. Hätte die Autorin von "Rebecca" die Postkutschenstation nicht zum Schauplatz ihres Buches gemacht, wäre sie längst abgerissen. Natürlich hat sich viel verändert, Keats würde sagen "changed utterly". Denn Cornwall ist leider der Playground für den Rest von England geworden. Braunes Backsteinchaos zum bunten Freizeitpark. Dass der Autor dies nicht ausklammert, nicht tut, als wäre alles in Ordnung, macht einen Reiz des kleinen Buchs aus. Denn wir reisen vielleicht mit Illusionen in Gepäck und Hinterkopf, aber bei der Ankunft finden wir uns unweigerlich in der Realität wieder. Vorbereitung darauf ist hilfreich.

Dabei ist bis heute mehr als genug Vergangenheit und Romantik zu spüren, etwa wenn man an den Felsenküsten am Atlantik wandert. Es wird nicht alles immer schlechter und unansehnlicher, sondern der National Trust, der englische Parks und Landhäuser verwaltet und erhält, lernt. Dem National Trust, der bereits über hundert Jahre alt ist, wurde oft vorgeworfen, Häuser zu Tode zu sanieren und schöne Leichen zu schminken. Noch vor zwölf Jahren hat man im Küchenbau von Petworth den alten Speisesaal der höheren Bediensteten in einen Shop verwandelt. Heute würde man das nicht mehr tun. Es gebe sogar schon Pläne, den Umbau rückgängig zu machen, erklärt eine Verantwortliche. Immerhin kann der National Trust stolz auf eines der größten Freiwilligenheere Europas mit 38.000 Helfern verweisen, wodurch es möglich ist, nur ein Prozent der Einnahmen für Verwaltung aufzuwenden. Bei der Vermietung der Häuser finden sich zuweilen sonderbare Details in den Verträgen, die die Liebe zu den Objekten und ihren Vorbesitzern verdeutlichen. Da wird dem Sommerurlauber etwa mitgeteilt, dass der Schlüssel für das gemietete Haus im Schuppen im Garten, rechts auf dem Regal, unter einem Paar gelber Handschuhe aufbewahrt wird, weil es immer so war.

Tea time vor Land's End. Südenglische Erkundungen Von Michael Bengel, Picus Lesereisen, Wien 2000, 132 Seiten, geb., öS 190,-/e 13,80 Whisky, Seetang und karierte Röcke. Schottische Geheimnisse Von Ralf Sotscheck, Picus Lesereisen, Wien 2000, 132 Seiten geb., öS 190,-/e 13,80

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