"… unterthänigst zu Füßen legen zu dürfen"

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Huldigungsadressen an das Kaiserhaus in der Nationalbibliothek zeigen neue Facetten österreichischer Geschichte.

Im Jahr 1878 erhielt die europäische Großmacht Österreich-Ungarn das Mandat zur Besetzung von Bosnien und der Herzegowina, Ländern, die zu mehr als einem Drittel von Muslimen bewohnt waren. Der Widerstand gegen den christlichen Herrscher war erbittert, doch bereits 1892 huldigten Muslime dem Kaiser in Wien als Dank für die fünf Jahre zuvor errichtete Schariats-Richter-Schule in Sarajewo. Das Schulgebäude für "Kadis", in dem zu Monarchie-Zeiten islamisches Ehe-, Familien- und Erbrecht gelehrt wurde, steht noch und beherbergt heute die Fakultät für Islam-Studien. Die Huldigungsmappe in türkischer Sprache mit deutscher Übersetzung ist eine der 89 Huldigungsadressen, die die Österreichische Nationalbibliothek bis 28. Oktober im Prunksaal zeigt.

Huldigung der Muslime

3500 Huldigungsschreiben in allen offiziellen Landessprachen, aber auch in Lateinisch und Hebräisch, einst in der kaiserlichen Privatbibliothek aufbewahrt, gingen 1921 in den Besitz der ÖNB über. 1835 gab es in Österreich die letzte Erbhuldigung, eine Zeremonie, in der die Untertanen Treue gegenüber dem Herrn gelobten und dieser sich verpflichtete, seine Leute zu beschützen.

Danach ersetzte im Staatsdienst und beim Heer die Vereidigung jenen aus dem Mittelalter stammenden Brauch. Gehuldigt wurde jedoch mehr denn je, "freiwillig". Kronländer, Städte, Gemeinden, Schulen und Universitäten, Industrielle, Gewerbebetriebe, Taubstummen- und Veteranenvereine fanden genügend Anlässe: Zur Hochzeit erhielt Elisabeth (Sisi) eine Huldigungsadresse mit 91 Kompositionen von 88 Tonsetzern; zur Silberhochzeit bekam das Paar 760; bei Elisabeths Ermordung sandten vor allem die Ungarn prachtvoll ausgestattete Beileidsadressen.

Kaiserliche Geburtstage und Thronjubiläen, gefeiert als gesamtstaatliche Inszenierungen der übernationalen Identität, hielten Hunderte von Menschen in Brot und Arbeit: Zunächst diejenigen, die Huldigungsadressen entwarfen, z. B. Josef Hoffmann, Kolo Moser, Otto Wagner, und dann die Ausführenden, die die Kassetten, Rollen, Mappen gossen, schnitten, trieben, ziselierten, gravierten, vergoldeten, emaillierten, die Leder färbten, Stoffe bestickten, bemalten, applizierten und Bilder auf Papier, Holz, Porzellan und Elfenbein malten. Kunsthandwerk aus der gesamten Monarchie geriet in den Huldigungsadressen zum Gegenpol der industriellen Serienproduktion der damaligen Zeit. Die Geschenke in allen historisierenden Stilen und schließlich modern, im Jugendstil, wurden vor der Überreichung öffentlich ausgestellt und in den Zeitungen lebhaft diskutiert.

Kunsthandwerk statt Serie

Bereits die äußere Gestaltung sollte Wertschätzung ausdrücken, während die Sprache der Texte, meisterlich kalligraphiert, in ihrer barocken Formelhaftigkeit fremd anmutet, denn da wurde stets gebeten, etwas "unterthänigst zu Füßen legen zu dürfen".

Das Prinzip war "do ut des". Der Kaiser war häufig zunächst der "Gebende": 1861 erhielten die evangelischen Kirchen die volle Gleichberechtigung. Ihre Huldigungsadresse zeichnet sich durch vornehme Schlichtheit aus. Anders die jüdischen Gaben.

1867 wurde die uneingeschränkte Gleichstellung der Juden in der Verfassung verankert. Ihre Huldigungsadressen in Form von kleinen silbernen Tempeln sind die prächtigsten der Ausstellung, denn "Kaiser Efraim Jossele" genoss in der jüdischen Bevölkerung eine mythisch anmutende Verehrung. Keine Huldigungsadressen schickte die katholische Kirche - wozu auch? Der allerhöchste Schutz war ihr auch so gewiss.

Die Dankadressen an den Kaiser und an Kronprinz Rudolf von Lehrern und Schülern aus allen Teilen der Monarchie beweisen, dass die Menschen die Förderung des Bildungssystems schätzten. In Wirtschaftskreisen wurde das Prinzip "Kaiser schenkt - Untertan dankt" umgedreht. Bankkonsortien, Industrieunternehmen, Transportgesellschaften, Gewerbeverbände huldigten in einer Form, die man heute als Lobbyismus bezeichnet, indem Unternehmer prächtige Mappen mit Ansichten ihrer Fabriken und Erzeugnisse bei Audienzen (Kaiser Franz Joseph hielt 250.000) überreichten oder per Post sandten, in der Hoffnung, Aufträge von oben zu erhalten. Auch der Traum, im Firmenschild den Titel Hoflieferant führen zu dürfen, war ein häufiges Motiv für eine Huldigungsadresse.

Die kurioseste Huldigung erhielt der Kaiser wohl 1884 von 40 Singhalesen aus Ceylon, die die Menagerie Hagenbeck zusammen mit 20 Elefanten nach Wien brachte. Nach seinem Besuch ließ der Kaiser der "Hagenbeck'schen Karawane" 42 Dukaten überreichen. Die Singhalesen bedankten sich mit einer Schatulle aus Schlangenhaut und einer Namensliste aller 40 Männer, Frauen und Kinder.

20 Elefanten aus Ceylon

Diese Ausstellung von bisher nie gezeigten Objekten erschließt österreichische Geschichte aus einem neuen Blickwinkel, dem der Loyalität von unten, der Bemühung um Identität und Kontinuität von oben. Durch ein verlässliches Ritual sollten fruchtbare, gute Beziehungen gefördert werden. Altmodisch? Vielleicht verrät der Herr Bundeskanzler, wie viele Gratulationsschreiben er nach seiner Wahl erhalten hat, vermutlich nicht in so hochwertiger künstlerischer Gestaltung …

Geschenke für das Kaiserhaus. Huldigungen an Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth.

Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, Josefs-platz 1,

1010 Wien.

www.onb.ac.at

Bis 28. 10.

Di-So 10-18,

Do 10-21 Uhr.

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