Unwirtliche Zwischenräume

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Suburbane Gebiete sind nicht prinzipiell "hässlich". Nur dann, wenn man die Straßen und Landschaften Suburbias weiter nach dem Motto gestaltet: Besser durchfahren.

Sie breiten sich an den Rändern der Stadt immer mehr aus: Konglomerate aus Industrie- und Gewerbebetrieben, Einfamilienhaussiedlungen und Geschoßwohnungsbau, Brachflächen und verschiedenen Verkehrs- und Infrastrukturbauwerken. Aber zunehmend entstehen sie auch abseits großer Städte entlang von wichtigen Verkehrsverbindungen. In anderen europäischen Ländern, etwa in Deutschland oder in den Niederlanden, ist durch diesen Prozess der Suburbanisierung in vielen Regionen längst nicht mehr klar, wo Stadt und wo Land wäre. Immer mehr Planer reden daher von "Stadtlandschaft" oder auch - wie der Stadtplaner Thomas Sieverts - von "Zwischenstadt".

Nicht bloß Missgeschick

Diese Begriffe versuchen klar zu machen, dass es sich bei diesem Raumtypus nicht um ein Missgeschick handelt, das einfach durch mehr Planung wieder aus der Welt geschafft werden könnte. "Suburbanisierung" hingegen ist ein negativer Begriff, der ein Gegenbild beinhaltet: jenes kompakter Städte in der offenen Landschaft. Es ist ein kritischer Begriff - und das ist verständlich, schließlich gibt es an Suburbia einiges zu kritisieren. Die Kritik will aber wohl überlegt sein.

Ein Gemeinplatz ist es, suburbane Gebiete als hässlich abzuqualifizieren. Das tun Architekten und Raumplaner ebenso wie Bewohner. Dieses Unbehagen kann meist nicht klar artikuliert werden, vordergründig knüpft es sich an das Aussehen der einzelnen Objekte, die nur in den seltensten Fällen besonders gestaltet sind und signalisieren, dass man sich an einem Ort befindet, der nicht im Zentrum gesellschaftlichen Interesses steht. Der ausschließlich ökonomische Zugang ist vielen Gebäuden ins Gesicht geschrieben. Architektur ist aber nur ein Faktor, der das sinnliche Erleben in diesen Gebieten ausmacht - wahrscheinlich der unwesentlichere.

Wie "erfährt" man nun suburbane Gebiete? Vorrangig im privaten Kraftfahrzeug. Was wahrgenommen wird, ist Straßenraum. Viele Architekturen sind überhaupt nicht sichtbar, sie verschwinden hinter Lärmschutzwänden und Zäunen und verlieren sich am Ende des Blickfelds. Was erlebt wird, sind Räume, die ausschließlich nach verkehrstechnischen Gesichtspunkten angelegt wurden, es sind Räume, die schnell durchquert werden sollen und die keinerlei Aufenthaltsqualitäten haben. Langsamere Fortbewegung ist im allgemeinen benachteiligt, Wege, die genussvoll zu Fuß oder mit dem Rad erschlossen werden können, sind selten. Die suburbane Raumstruktur insgesamt ist verinselt: Es gibt erlebnisintensive Zonen, etwa das Innere von Shopping Malls oder das eigene Haus mit Garten. Dazwischen aber fährt man besser durch.

Verinselte Räume

Was also nach mehr Gestaltung ruft, sind weniger die einzelnen Gebäude als vielmehr der Raum dazwischen. Die hier gefragten Disziplinen sind Landschafts- und Verkehrsplanung. Während die erstere diese Aufgaben schon längst erkannt hat, ist die Verkehrsplanung eine Disziplin, für die die Frage, wie Räume erlebt werden, keine Rolle zu spielen scheint. Dies wird für sie höchstens dann zum Problem, wenn Autofahrer am Einschlafen gehindert werden sollen. Das Ergebnis sind Lärmschutzwände mit absurden Aufmunterungen. Wie Straßenräume aber insgesamt situiert, wie die Knotenpunkte und Randzonen gestaltet werden und wie sie sich mit dem Siedlungsgebiet verzahnen, scheint nicht von Interesse.

Die Planung Suburbias bedarf der Interdisziplinarität und der Einbindung der Verkehrsplanung. Dies ist aber nur ein Aspekt. Noch wesentlicher ist, dass die suburbanen Gebiete nicht einfach deshalb so und nicht anders aussehen, weil sie zu wenig Planung erfahren hätten: Sie sind ein Ausdruck gesellschaftlicher Wirklichkeit. Die verinselte Raumstruktur zeigt die Tatsache auf, dass öffentlicher Raum nur mehr als Verkehrsraum gedacht wird und die meisten Nutzungen in privaten Räumen stattfinden. Das war in alten Städten ganz anders: Der öffentliche Raum stand hier einer Vielzahl von Nutzungen offen, die im Verlauf der Geschichte immer weniger wurden.

Eine Reminiszenz an diese Räume findet sich heute an touristischen Orten und in innerstädtischen Einkaufsstraßen. Öffentlicher Raum hat dort Aufenthaltsqualitäten und ist intensiv gestaltet, wo daraus Profit geschlagen werden kann. Er wird zunehmend zu einem Luxus, der in jenem alltäglichen Raum, in dem gewohnt und gearbeitet wird, als nicht notwendig erscheint. Dies trifft sich mit Nutzungsvorstellungen einer individualisierten Gesellschaft, deren Mitglieder sich in ihre privaten Räume zurückziehen. Die suburbane Struktur ist keinesfalls zufällig, sie spiegelt schlicht die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation wider. Architekten und Planer werden daran nur etwas ändern können, wenn sie sich in eine umfassende öffentliche Diskussion einlassen.

Veraltete Stadtbilder

Dabei wird es auch darum gehen müssen, alte Bilder von Stadt und Landschaft aufzugeben, denn diese entsprechen nicht mehr den heutigen Bedingungen. Dennoch sollte man auf manche Qualitäten dieser alten Raummuster bestehen. Wie aber ein qualitätsvoller öffentlicher Raum in den neuen Gebieten tatsächlich aussehen könnte, muss erst erfunden werden.

Die Autorin ist

Architekturtheoretikerin und war wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an der TU Graz. Der Text basiert auf den Ergebnissen des von Susanne Hauser geleiteten Projekts "Stadt und Landschaft", einem Teilprojekt des Ladenburger Kollegs zur Zwischenstadt.

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