Uraufführungen haben kein langes Leben

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Im letzten Jahr blickte die europäische Opernfachwelt verstärkt nach Wien und begann sich einem Phänomen zuzuwenden, das ihr Interesse weckte, gilt die Bundeshauptstadt im Ausland doch noch immer als Hort der Traditionspflege und konservativen Opernbetriebs. Abseits vom gewohnten Staatsopern- wie dem kulinarischen Volksopernprogramm hatte sich, zunächst kaum beachtet, eine Freie Opernszene etabliert, die mit hochprofessionellen und niveauvollen Produktionen zeitgenössischer Opernwerke kräftige Lebenszeichen von sich gab und gibt.

Es ist eine kleine Handvoll Gruppen, die zwar nicht konfliktfrei, aber doch in gemeinsamen Dimensionen denkend, agiert. Zu nennen ist zunächst das "Wiener Opertheater", mit der spektakulär präsentierten Vision eines "Opernhauses der Gegenwart", geglückt unter Beweis gestellt mit John Adams' "Nixon in China", Philippe Boesmans' "Reigen", Nader Mashayekhis "Malakut" und dem György-Ligeti-Abend im Museumsquartier, dem zuletzt die größte mediale Aufmerksamkeit zukam. Weiters gibt es die "Wiener Musikwerkstatt", deren Produktion von Philip Glass' "The Fall of the House of Usher" Anerkennung fand, die Gruppe "NetZZeit" mit erfolgreichen Eigenproduktionen wie auch mit anderen "vernetzten", die "Wiener Taschenoper", welche finanzielle Schwierigkeiten (nicht neu in der von Selbstausbeutung geprägten Freien Szene) zwingen, heuer den Verein aufzulösen und nicht zuletzt die "Neue Oper Wien".

"Was wäre Wien ohne seine freie Opernszene", gab der langjährige Beobachter des Wiener Opernlebens, Reinhard Kager, in der "Frankfurter Allgemeinen" seiner Freude Ausdruck, daß durch sie Aribert Reimanns "Lear" - in seiner Wucht und extremen Tonsprache ein Monolith unter den Werken des modernen Musiktheaters - doch noch den Weg in die selbsternannte Musikhauptstadt gefunden hat. Sein Lob für die "Neue Oper Wien" war begleitet mit herber Kritik an der Wiener Staatsoper, deren "zaghaftes Engagement für die Moderne" sich, so Kager, in den Jahren der Direktion Ioan Holender auf die Uraufführungen (1995) von Alfred Schnittkes "Gesualdo" und von Adriana Hölzkys "Wände" - die gleich nach den Festwochen "in der Versenkung" verschwand - beschränkte. Die Wogen um das "Opernhaus" schlugen hoch in diesen Monaten.

Vakuum "Moderne" So wie Kager fanden auch andere harte Worte, die zusammen den Eindruck einer Stadt vermittelten, in der einzig die hehre Pflege unvergeßliche Meisterwerke zählt. Berechtigt?

Jein. Angesichts anderer Staatsopernproduktionen wie zum Beispiel Benjamin Brittens "Peter Grimes", der Uraufführung von Gottfried von Einems "Dantons Tod" in der Volksoper und die Produktionen der auf dem Gebiet der modernen Oper durchaus umtriebigen, aber für große Produktionen selbstverständlich ungeeigneten "Kammeroper" (Christoph Cechs Zweig-Oper "Aus allen Blüten Bitternis", Gottfried von Einems "Luzifers Lächeln") sollte die Situation präzisiert werden. Uraufführungen gibt es an den festen Opernhäusern in Wien, sie haben, ausgenommen in der Kammeroper, nur kein langes Leben. Die Inszenierungen moderner(er) Opernwerke werden als Pflichtübung genommen, um sie sofort wieder abzusetzen. Hier zeigt sich die mangelnde Präsenz zeitgenössischen Opernschaffens und ein Vakuum, das die Freie Szene für sich entdeckt hat und gelegentlich sogar spektakulär zu füllen imstande ist.

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