Utopien von Liebe und Eros

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Doppelpremiere an der Wiener Volksoper: "Die spanische Stunde" und "Die Kluge".

Für eine seiner letzten Premieren holte Intendant Rudolf Berger mit Aniara Amos und René Zisterer zwei Volksopern-Debütanten für zwei konträre Stücke an sein Haus. Die spanische Stunde von Maurice Ravel und Die Kluge von Carl Orff bedürfen keiner philosophischen Verdrehung zur Suche eines gemeinsamen Nenners. Man lässt sie am Besten in ihrer Gegensätzlichkeit nebeneinander stehen.

Die Bühnen-und Kostümbildnerin Maria-Elena Amos hat sich beiden Regiekonzepten gut anpasst, ein starkes Bindeglied aber ist Dirigent Dietfried Bernet. Seine Balance zwischen Lyrik und Emphase, die Durchsichtigkeit (alle fünf Personen der Ravel-Oper sind durch spezielle musikalische Elemente charakterisiert), seine routinierte Übersicht und die Logik der Tempi, auch im Sinn der Szenenwirkung, modellieren die Stücke geradezu und bringen dabei ihre spezifische Klanglichkeit zum Blühen.

Flaches Erotikon

Ravels Oper nach dem Einakter von Franc-Nohain musste bis zur Uraufführung 1911 einige Jahre warten, weil der Pariser Operndirektor vor der Erotik des Librettos zurückschreckte. Mittelpunkt der Erregung ist Concepcion, die junge Frau eines Uhrmachers, dem die Stunde nicht mehr schlägt und die sich anderweitig umsieht. Ein erhofftes Schäferstündchen mit viel Verwirrung zwischen drei Männern bringt ihr das HappyEnd.

Mutter Amos stellt Die spanische Stunde in ein breites, gemäldeartiges Bühnenbild ohne Tiefenwirkung, in dem Tochter Aniara die erotische Farce fast grafisch auflöst. Aber die absurde Stilisierung (Ravel dachte an die italienische Commedia), das Tragikomische in der Konfrontation mit der Vergänglichkeit gelingt nur zum Teil. Dicke Männer mit herabgelassenen Hosen in vergeblicher Liebesmüh und der Topos der unbefriedigten Frau mit der unverhüllten Erotik gerade in der Verhüllung durch ein schwarzes, mehrfach rotgeschlitztes Kleid ergeben ein letztlich eben nur flach bleibendes Erotikon, das der Finesse von Ravels Musik heillos unterliegen muss. Die ist atmosphärisch, reich an Farben, brillant ironisch in ihren Brüchen und der spanischen Rhythmik.

René Zisterer gelang hingegen eine ebenso stimmige wie stimmungsvolle Umsetzung der Klugen. Ohne ihren Ursprung zu verleugnen, holt er die Oper aus ihrem bayerischen Kraftfeld, lässt ihr das Märchenhafte und entwickelt sie mätzchenfrei zur psychologischen Parabel. Maria-Elena Amos schuf ihm transparente Wände für die Simultanbühne und einen variablen Ausschnitt der Bühnenmitte.

Liebe als Weltheilerin

Die scharfen Lichteffekte (Wolfgang Könnyü) beleuchten Menschen, keine Figuren. Sie geben ihre Meinung kund und handeln bewusst: Der König auf zu hohem Thron, der nur durch Willkür zu herrschen versteht, die Strolche, die die Verhältnisse anklagen (bei der Uraufführung mitten im Zweiten Weltkrieg zeugte das von Mut), die Frau, die Weisheit und Güte versinnbildlicht.

Welche Utopie: Sie schafft es, des Königs verschüttete Emotionen und seinen Gerechtigkeitssinn zu wecken. Die Kluge, die Liebende als Weltheilerin.

Ein Kabinettstück zwischen Commedia und Shakespeare gelingt Zisterer mit den drei Strolchen. Auch Dirgigent Bernet entstampft das Stück, indem er es neu und zeitlos profiliert.

Durchwegs gut die Besetzungen: Für Ravel setzt Adrineh Simonian sinnlichen Klang ein, und ist umgeben von Jörg Schneider, Heinz Zednik, Morten Frank Larsen und Lars Woldt. In der Klugen verfällt der prächtig konturierte König von Wolfgang Koch der glasklaren Klangseligkeit von Jennifer O'Loughlin in der Titelrolle. Ein fabelhaftes Strolchentrio sind Karl-Michael Ebner, Einar Gudmundsson und Stefan Cerny, stimmlich fallen weiters Daniel Schmutzhard als Mauleselmann, Daniel Behle als Eselmann und Sorin Coliban als Bauer auf.

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