Väter in der Spaßgesellschaft

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Gedanken zum Vatertag in der Zeit der Fun-Generationen.

Sind Sie Vater? Finden Sie, dass wir in einer Spaßgesellschaft leben? Wenn Sie Vater sind, stellt sich die Frage: Wie alt sind Ihre Kinder? Sollten diese schon in die Kategorie Erwachsene fallen, gibt es bei Ihnen am bevorstehenden Vatertag vermutlich kein besonderes Zeremoniell, sei es jetzt an den Muttertag angelehnt - mit der Übergabe von Blumen und dem Aufsagen eines Gedichtes - oder nicht. Die relativ neue Errungenschaft des Vatertages wird ja eher von den jüngeren Semestern praktiziert. Es geht also um Familien mit minderjährigen oder gar unmündigen Sprösslingen.

Vaterschaft setzt zunächst einmal Kinder voraus. Wo sind die Kinder? Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass die Geburtenrate in Österreich - wie in fast allen Industrieländern - dramatisch gesunken ist. Zur Zeit des "Baby-Booms" vor 40 Jahren gab es pro Jahr noch nahezu doppelt so viele Neugeborene, und die waren, wie unserer früherer Kanzler Viktor Klima so treffend feststellte, im Gegensatz zu heute in weit höherem Maß die "Frucht heimischer Lenden". Wo wenige Kinder, da auch wenige Väter. Liegt es am "Gehrer-Syndrom", das eher nach Parties und Zweitwohnsitzen als nach Ehe- und Gitterbetten Ausschau halten lässt? Und ist dieses Syndrom Kennzeichen der viel zitierten Spaßgesellschaft?

Sozialwissenschafter sprechen ja eher von der "Erlebnisgesellschaft", deren Wesen darin besteht, dass die Leute das Leben immer und überall voll auskosten, keine Erfahrung missen möchten. "Ich will alles und das sofort", lautet der Slogan dieser Erlebnishungrigen, die man der so genannten Fun-Generation zuordnet. Besser müsste man freilich bereits von einer Mehrzahl, nämlich von Fun-Generationen, sprechen.

Der "ultimative Kick"?

Wer nämlich meint, dass davon nur Jugendliche betroffen sind, wer beim Titel "Väter in der Spaßgesellschaft" nur das Bild vom sorgenvollen Papa vor Augen hat, der seine Kinder vor den Verlockungen und Gefahren einer im Hedonismus versinkenden Welt bewahren will, liegt falsch. Wenn heute viele junge Leute ständig hinter dem Vergnügen und dem "ultimativen Kick" her sind, so war und ist an dieser Entwicklung doch zumindest ein Teil der jetzigen Elterngeneration kräftig beteiligt, sei es durch das eigene Vorbild, sei es durch die Verantwortung für eine Medienwelt, die wahrlich nicht Bescheidenheit oder Selbstbeherrschung als besondere Ideale propagiert.

So ist heute die Meinung weit verbreitet, dass Kinder weniger eine Freude, sondern vor allem eine Belastung sind, die einen hindert, das Leben in vollen Zügen zu genießen oder die erträumte Lebensplanung in die Tat umzusetzen. Natürlich ist Kinderlosigkeit gar nicht so selten ein ungewolltes Schicksal, aber oft beruht sie auf einer materialistischen Einstellung. Man verzichtet auf Kinder, und wenn sie schon da sind, schiebt man sie in Betreuungseinrichtungen ab. Warum wächst wohl die Menschheit vor allem noch dort, wo Kinder als Arbeitskräfte und Pensionsvorsorge Bedeutung haben, aber nicht mehr in den reichen Ländern?

Wo sind im Zeitalter des "neuen Mannes" und der erwünschten Halbe-Halbe-Aufteilung der Hausarbeit die Väter? Frauen sind ja den Spagat zwischen Beruf und Familie schon einigermaßen gewöhnt, aber Männer purzeln bei der Turnübung "Vaterrolle" nach wie vor leicht von der Matte. In der schon vor Jahrzehnten diagnostizierten "vaterlosen Gesellschaft", die zunächst durch die Kriege, später durch das Aufgehen der Männer im Beruf bedingt war, verließen sich viele Väter darauf, dass zumindest die Frauen ihre "Mutterrolle" ausübten. Heutige Vaterlosigkeit liegt - so der deutsche Wissenschaftler Horst Petri - oft an einem zunehmenden "Geschlechterkrieg".

Die Scheidungsraten sind enorm gestiegen, die Patchwork-Familien florieren. Viele Kinder werden nur noch von einem leiblichen Elternteil - meist von tagsüber außerhäuslich erwerbstätigen Müttern - aufgezogen. Werden sie dabei auch noch im klassischen Sinn "erzogen"? Frühere Miterzieher sind zu Haupterziehern geworden: die Großeltern (soweit vorhanden), die Schule, die Medien, der Freundeskreis. Das Verhältnis zwischen Kindern und Vätern, die einander nur noch gelegentlich treffen, hat meist einen anderen Charakter als in der "intakten" Familie, obwohl es auch da meist nur selten zu längeren Gesprächen kommt. Statistiken verkünden ja immer wieder, dass sich der Dialog zwischen Vätern und ihren Kindern im Durchschnitt auf wenige Minuten pro Tag beschränkt.

Vaterverlust

Psychologen betonen, dass es eine Katastrophe ist, wenn Kinder ohne Väter aufwachsen, denn sie neigen dann in deutlich höherem Maß als andere zu psychischen Schäden. Kinder suchen nach Anerkennung. Ohne starken Halt in der eigenen Familie, ohne Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins brauchen sie oft eine Gruppe, wo sie sich ernst genommen und wichtig vorkommen und sich dafür den Bräuchen dieser Gruppe anschließen oder unterordnen, im positiven und im negativen Sinn. Man will "in" sein, das heißt, bei allen Unternehmungen der Gruppe dabei sein - das schlägt sich oft im gemeinsamen Besuch von allen möglichen "Events", aber auch in gefährlichen Freizeitbeschäftigungen nach dem Motto "No risk, no fun" nieder.

Der Vater als "Spaßgeselle"

Die Eltern können sich gegenüber dem jeweiligen Treiben ihrer Sprösslinge passiv und gleichgültig verhalten, sich ihm zu widersetzen versuchen oder es aktiv fördern. Nur sollten Vater und Mutter in wesentlichen Punkten übereinstimmen und am gleichen Strang ziehen. Die aus Sicht des Mannes bequeme Rollenverteilung - die Mutter kümmert sich darum, dass die Kinder lernen und im Haushalt mithelfen, der Vater ist der "Spaßgeselle" des Nachwuchses in der Freizeit, bei Sport, Spiel und Kinobesuchen - ist sicher nicht die erzieherisch beste.

Gar nicht zu erziehen ist sicher der falsche Weg und außerdem eine Flucht aus der Verantwortung. Erziehung war natürlich immer ein schwieriges Unterfangen, sie ist anstrengend und basiert auf Beispiel und Liebe. Vor allem Väter sind sich selten dessen bewusst, dass Kinder in der Regel mehr das praktische Vorbild der älteren Generation und nicht deren weise Lehren aufnehmen. Wer hat nicht selbst in jungen Jahren immer wieder auszuloten versucht, was die Eltern noch erlauben und wann sie Kontra geben? "Kinder brauchen Grenzen", sagt der deutsche Erziehungsberater Jan Uwe Rogge im Titel eines Bestsellers völlig zu Recht, sonst verlieren sie die Orientierung im Leben. Die ist aber immens wichtig. "Kinder benötigen in der unübersichtlichen multimedialen Welt mehr soziale Orientierung als jemals zuvor", betont der deutsche Familienpsychologe Wolfgang Bergmann.

Der heutige Pluralismus schafft natürlich Probleme. "Mein Freund darf viel länger ausbleiben und kriegt das dreifache Taschengeld." Gegenüber solchen Klagen muss man glaubhaft argumentieren können, dass nicht die Lust am Verbieten oder der angeblich so geile Geiz die eigenen Maßnahmen prägt. Wenn das Kind begreift, dass die Eltern aus liebevoller Sorge um sein Wohlergehen darauf bestehen, dass es um Mitternacht daheim ist, und dass sie im Rahmen ihres Einkommens finanziell ohnehin sehr großzügig sind, ist viel gewonnen. Übrigens ist es manchmal ratsam, sich mit anderen Eltern ins Einvernehmen darüber zu setzen, ob ihre Kinder wirklich so viel dürfen, wie sie ihren Freunden gegenüber behaupten...

Kinder übertreffen Eltern

Ein modernes Problem hat der Experte Watts Wacker angesprochen: "Wir treffen auf die erste Generation, bei denen 14-Jährige in vielen Aspekten kenntnisreicher sind als ihre Eltern." Wenn sich der arme Vater beim Bedienen des Computers oder der Digitalkamera ständig Rat beim Sohn holen muss, erschwert das natürlich die Ausübung von Autorität. Denn der Wissensvorsprung lässt die Kinder oft überheblich werden und gibt ihnen das Gefühl, sie müssten sich auch auf anderen Gebieten nichts mehr sagen lassen.

Die Spaßgesellschaft verlockt jedenfalls nicht nur die Kinder und die Jugend, sondern auch viele Erwachsene. Ob das Hüpfen von Event zu Event, die ständige Suche nach dem Kick letztlich zufrieden macht, ist fraglich. Eher ist wohl dem Herrn Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe zuzustimmen, der in der Ballade "Der Schatzgräber" das wahre Glück im Wechsel von langen Mühen mit gelegentlichen Feiertagen - sicher noch ohne Hintergedanken an einen "Vatertag" - erblickte: "Saure Wochen, frohe Feste sei dein künftig Zauberwort."

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