Vatikan pur

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Ein - offizielles - Lexikon über den Vatikan erweist sich als wichtiges Nachschlagewerk, das auch spannend sein kann.

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Ein - offizielles - Lexikon über den Vatikan erweist sich als wichtiges Nachschlagewerk, das auch spannend sein kann.

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Bücher, die von angeblich hinter vatikanischen Mauern verborgenen Geheimnissen handeln, die über unentdeckte Morde, unterschlagene Dokumente, unbekannte Tragödien spekulieren, stürmen die Bestsellerlisten. Der Vatikan, er ist ein zweifaches Mysterium: als weltlicher Staat mit ungewöhnlichem Gefüge und als geistliches Zentrum der katholischen Kirche.

Man darf erwarten, daß sich das Interesse am Vatikan zum Heiligen Jahr 2000 hin noch steigern wird. Da liegt es nahe, die Neugier an Vergangenheit und Gegenwart des Vatikans durch ein umfassendes Lexikon zu stillen, Mißverständnisse durch Verständnis zu ersetzen. Unter dem Titel "Mondo Vaticano" - "Welt des Vatikans" - hat der offizielle Vatikanverlag ein solches Werk 1995 herausgebracht. Neben Herausgeber Niccolo Del Re haben mehr als fünfzig Fachleute aus Theologie, Kirchengeschichte, Kanonistik, Kunst- und Kulturgeschichte daran gearbeitet.

Der Pattloch-Verlag hat das Nachschlagewerk auf deutsch herausgebracht. Für die deutsche Bearbeitung wurde der ausgewiesene Vatikankenner Elmar Bordfeld gewonnen, bekannt durch seine Kommentierung von Papstmessen beim ZDF, dem Deutschlandfunk und katholischen Privatsendern. In fünfzehn Jahren als Chefredakteur der deutschsprachigen Ausgabe der Vatikanzeitung "Osservatore Romano" hat Bordfeld Einblicke gewonnen, die es ihm ermöglichten, das italienische Original an vielen Stellen noch zu verbessern und auf den neuesten Stand zu bringen. So sind die 1996 erlassenen neuen Bestimmungen zur Papstwahl im Lexikon schon berücksichtigt.

Den etwa tausend Stichworten sind detaillierte Karten der Vatikanstadt und des Papstpalastes vorangestellt. Geht man den dargestellten Gebäuden im Erläuterungsteil nach, erfährt man etwa, warum die Vatikan-Apotheke von einem deutschen Angehörigen der Barmherzigen Brüder gegründet, warum am Vatikanischen Bahnhof kaum je ein Reisender angekommen ist, und daß man auf dem Campo Santo Teutonico, dem deutschen Friedhof der Vatikanstadt, begraben werden kann, wenn man es fertigbringt, während einer offiziellen Pilgerreise in Rom das Zeitliche zu segnen. Inhalt und Geschichte der Sixtinischen Kapelle, der Vatikanischen Museen und Gärten, Paläste und Bibliotheken werden erschlossen.

Aber das Lexikon geht über das äußerlich Sichtbare hinaus. Es erschließt die Doppelstruktur des Vatikans als weltlicher Staat und geistliche Macht, es macht Geschichte und Aufgaben der Päpstlichen Kommissionen und Räte, Kongregationen und Akademien deutlich. Man erfährt, was ein "Motu Proprio" von einem gewöhnlichen vatikanischen Schreiben einerseits und einer Enzyklika andererseits unterscheidet.

Bei aller lexikaler Nüchternheit lesen sich viele der Erklärungen spannend. Unter dem Stichwort "Konklave" erfährt man, daß diese Einrichtung keineswegs auf biblische Weisung oder die geisterfüllte Einsicht eines Papstes zurückgeht. Es waren die Bürger des Städtchens Viterbo, die nicht mehr mitansehen konnten, daß achtzehn Wahlmänner es fast drei Jahre lang nicht geschafft hatten, sich auf einen neuen Papst zu einigen. So schlossen sie die Kardinäle im Papstpalast ein; als das nichts half, entzogen sie ihnen die Lebensmittel; schließlich deckten sie das Dach ab, damit Wind und Wetter die Papstwähler zur Entscheidung zwingen sollten.

Fesselnd sind auch die Darstellungen über Päpste und Gegenpäpste, die das Vatikanlexikon sämtlich vorstellt. So ist etwa der Abschnitt über Papst Gregor VII., der 1074 das Dekret über den Zölibat erließ, für die Diskussion dieses heißen Eisens von Wert. Nicht Fragen der Sexualität standen dabei nämlich im Vordergrund, sondern der Kampf gegen die Verweltlichung des Klerus. Der Zölibat, erfährt man, war ursprünglich ein Werkzeug, um die Kirche von den Verbindungen zur weltlichen Gesellschaft zu trennen, sie frei zu machen von Korruption und allzu weltlichen Interessen.

Wer sich mit einem Aspekt gründlicher befassen will, dem helfen die Literaturhinweise, die den meisten Stichworten beigegeben sind. Bei weiteren Auflagen, die dem Werk zu wünschen sind, sollte der Verlag an ein Stichwortverzeichnis und eine schematische Darstellung der Verwaltung von Vatikanstadt und katholischer Kirche denken.

VATIKANLEXIKON.

Herausgegeben von Niccolo Del Re, deutsche Bearbeitung; Elmar Bordefeld. Pattloch Verlag, Augsburg 1998, 1008 Seiten, geb., öS 1.008

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