Venedigs Kampf gegen das Wasser

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Mit Hightech und Ideen aus vergangenen Jahrhunderten kämpft Venedig gegen die Fluten, die unaufhörlich an seiner Substanz lecken.

Für Millionen Menschen ist Venedig die schönste Stadt der Welt. Doch Venezianer wie Architekt Mario Piano vom dortigen Denkmalamt wissen, dass diese Schönheit stark leidet. Denn die Stadt ist mittlerweile schwer angeschlagen in ihrer Substanz. Vor allem ist sie um rund 23 Zentimeter abgesunken. Als Folge davon sind alle ihre Bauten einer ständigen Dauerbelastung ausgesetzt. Die schädigenden Salze aus dem Wasser, vor allem das Natrium, können überall ungehindert ständig ins Mauerwerk dringen.

Seinerzeit wurden die Bauten Venedigs aus einem mikro-kristallinen Stein knapp oberhalb des Wassers angelegt, sodass die schützende Schicht dieser Steine das Fundament schützte. Durch das Absinken beginnen nun die Schäden bereits im Erdgeschoß. Die zugehörigen Piloten waren im Erdreich verankert worden. Ihre Durchmesser betrugen zwölf bis 14 Zentimeter, die Zwischenräume wurden mit Abbruchmaterial aufgefüllt, was gleichzeitig den Kontakt mit Sauerstoff verhinderte. Es konnten daher keine schädigenden Bakterien eindringen, die hölzernen Teile nicht verrotten. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die Mauern der einzelnen Häuser nicht miteinander verzahnt sind. Sie lehnen vielmehr nur aneinander, was eine gewisse Bewegungsfreiheit der Mauern garantiert. Zudem wurden seit dem 12. Jahrhundert bei jedem einzelnen Stockwerk sogenannte Zug-Anker montiert, die bis heute die Gebäude zu fixieren vermögen. Allerdings lauern mittlerweile Gefahren durch den Einbau von Heizungen, weil das verwendete Eisen die Temperatur der Umgebung aufnimmt. Das entstehende Kondenswasser, das sich durch Temperaturunterschiede außen und innen bildet, greift die eisernen Zug-Anker an, "Auf diese Art", äußert sich Mario Piano, dessen Vorfahren bereits Baumeister der Stadt waren, "bedeutet Fortschritt zugleich die Crux unserer wertvollsten Baudenkmäler."

Wasserexperten wie Ingenieur Giovanni Sandri nehmen den Kampf gegen die Verschlammung der Kanäle in der Länge von etwa 50 Kilometern auf. "Wir haben das Stadtgebiet in vierzig Zonen eingeteilt", so Sandri, "die wir uns eine nach der anderen vornehmen". Das Procedere dabei: zuerst die Trockenlegung der einzelnen Kanäle. Dann das Ausräumen des Schlammes, das in Handarbeit zu geschehen hat, da die Kanäle zum Teil extrem schmal sind.

Gondolieri murren

Wenn Kanäle abschnittweise abgeschottet werden, stört das die Gondolieri, die sich nur murrend fügen, Oftmals müssen auch Seitenkanäle trockengelegt werden, solange dort Fundamente der Palazzi adaptiert werden. Dieser Eingriff behindert zweifellos die Lieferanten. Doch alle Involvierten müssen sich dem Reglement der Stadtverwaltung unterwerfen, damit die nötige Erneuerung des Netzes von Gas-, Strom- und Wasserleitungen endlich nach Jahrzehnten der Stagnation beendet wird. Auch die schönste Stadt der Welt ist auf Infrastrukturen angewiesen.

Zwar wären die Techniker in Venedig in der Lage, das alljährliche Problem mit dem acqua alta - dem Hochwasser - nachhaltig zu stoppen. Doch man hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Denn 1933 wurde zwischen Zentrum und Hauptbahnhof der Rio Nuovo angelegt, ein verkürzender Kanal. "Durch ihn treten hier auf weiten Strecken Erosionen auf, so Umweltdezernent Gabriele Zernetto. Der ständige Wellenschlag legt immer stärker die Fundamente der umliegenden Gebäude frei, was andauernd Befestigungen notwendig macht. Eine Sisyphusarbeit, da das Erdreich umgehend wieder weggeschwemmt wird.

Daraus ergeben sich weitere Probleme. Die Statik der Gebäude muss ständig gesichert werden. Kein Wunder, wenn sich bei Venedigs Wasserexperten Giovanni Sandri angesichts des Canale Grande eher Sorgen einstellen als Stolz auf den imposanten Anblick. Schließlich sollen Kanäle, Seitenarme, Kanäle in das System der Restaurierung einbezogen werden - angesichts steigender Kosten und magerer Stadtkassen ein schwer zu bewältigender Spagat. Dazu nimmt auch das allgemeine Verkehrschaos in Venedig ständig zu. Alltäglich kreuzen zur Bewältigung von Transport und öffentlichem Dienst mehr als 1.000 Motorboote durch die Kanäle, die 130 Vaporetti eingerechnet. Hinzu kommen die Gondeln, deren Zahl zwischen 150 und 200 schwankt.

Obwohl Roboter auf dem Canale Grande für romantische Touristen wenig Anziehendes haben mögen, wurde jetzt vom UNESCO-Beauftragten Angelo Marzollo ein Hochtechnologie-System in Auftrag gegeben. So erhielten die Vaporetti im vergangenen Jahr Datenfunkgeräte. Damit sollen Staus weitgehend vermieden und die Verkehrsströme gelenkt werden. Die auf Meerestechnik spezialisierte Firma Thetis arbeitet mit dem Global Positioning System, das es erlaubt, mit Hilfe von Sendern den Kurs der Boote metergenau zu bestimmen. "Es werden auch Motordaten abgefragt, drohende Maschinenschäden rechtzeitig geortet", so Thetis-Direktor Domenico Lalli. Der Zentralrechner am Boden speichert die eingehenden Daten exakt, gibt sie an die einzelnen Lotsen weiter. Auch Venedigs Ordnungshüter sind angeschlossen, so dass es leicht fällt, Raser, die über acht Stundenkilometer am Canale Grande und über fünf in kleinen Kanälen fahren, zu bestrafen.

Verschüttete Kanäle

Skeptiker halten von Hochtechnologie und anderen ehrgeizigen Projekten gar nichts. Selbst UNESCO-Mann Marzollo gräbt mittlerweile lieber alte Rettungsplane für die Serenissima wieder aus als sie neuesten Trends zu überlassen. So möchte er verschüttete Kanäle aus der Zeit Napoleons öffnen lassen, welche dieser für eine Via Grande einst trockenlegen ließ. Zudem will er zur traditionellen Gondelform der Caorlina zurück, einem Boot mit extrem schmalem Rumpf aus dem 17. Jahrhundert, das sich nachgewiesenermaßen auch bei höherer Geschwindigkeit nicht aus dem Wasser hebt und kaum Wellen erzeugt. Venedigs berühmtester Gast Richard Wagner soll nach der Fama vor seinem Tod anno 1883 in einer Caorlina zum Palazzo Vendramin gefahren sein, die Klänge seines "Parsifal" im Ohr.

Ein Trost für schwer gebeutelte Stadtväter: Venedig-Liebende und Romantiker werden ihr Kleinod auch in Zukunft in Schwärmen bevölkern. Und sich um Hochtechnologie und Erosionen auch im Karneval angesichts unvergänglich scheinender Schönheit herzlich wenig kümmern.

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