Seit Urzeiten hatten die Menschen einen besonderen Draht zu Bäumen. Im spirituellen Leben unserer Vorfahren dürften die größten Pflanzen der Erde stets eine wichtige Rolle gespielt haben. Im Schamanismus, der ältesten Religion der Menschheit, kannte man einen mythischen "Weltenbaum": Er war wie eine weit aufragende Himmelsleiter, auf der die Schamanen nach oben steigen konnten, auf heikler Mission in unsichtbaren Sphären. In Indien werden Bäume noch heute mit bunten Bändern und Blumengirlanden verehrt, so wie vor Jahrtausenden, als man damit die Naturgottheiten gnädig stimmen wollte. Der Buddha soll seine Erleuchtung unter einem Feigenbaum gefunden haben, und Jesus Christus starb am Holz des Kreuzes: "Vom Baum des Paradieses kam der Tod, vom Baum des Kreuzes erstand das Leben", wie es zum christlichen Fest der Kreuzerhöhung heißt.
Zwischen Himmel und Hölle
Die äußere Erscheinung der Bäume hängt stark davon ab, was unterhalb des Erdbodens passiert. Die Beschaffenheit des Bodens entscheidet, wie sich die grünen Riesen entwickeln können. Die Wurzeln geben dem Baum Halt und versorgen ihn mit Nährstoffen. Weit verzweigt formen sie ein unterirdisches Geflecht und unterhalten eine symbiotische Beziehung mit Pilzen, die ihrerseits weiträumige Netzwerke im Waldboden bilden. Ein reger Austausch von Wasser, Nähr-und Botenstoffen findet statt: In den Leitungen der Pilzfäden kommunizieren Bäume, Sträucher und andere Gewächse. Ein Vergleich mit dem Internet ist naheliegend, Forscher haben daher einen zeitgemäßen Begriff geprägt: "Wood Wide Web".
Ein guter Teil der Bäume bleibt somit dem Blick verborgen. Das ist ähnlich wie beim Menschen, dessen Innenleben ebenfalls tiefe Wurzeln in Bereichen hat, die oft nicht an die Oberfläche des Bewusstseins gelangen. Niemand weiß das besser als die Tiefenpsychologen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen neuen Blick auf den Menschen eröffnet haben: "Kein Baum kann in den Himmel wachsen, wenn seine Wurzeln nicht in die Hölle hinabreichen", hat C. G. Jung, der Pionier des kollektiven Unbewussten, betont. Das innige Verhältnis zwischen Menschen und Bäumen zeigt sich bereits in unseren frühen Lebensphasen: Kinder lieben es, ein Seil oder eine Schaukel von starken Ästen baumeln zu lassen. Auf Bäume zu klettern und im Wald Verstecken zu spielen, beflügelt ihre Fantasie; und in einem Baumhaus finden sie das Paradies.
Auch punkto Wachstum halten die Bäume eine Lektion bereit: Unter günstigen Bedingungen, mit viel Sonnenlicht könnten junge Gehölze pro Jahr einen halben Meter in die Höhe schießen -doch langsamer ist nachhaltiger: Dann entwickeln die Pflanzen eine stärkere Widerstandskraft gegen Stürme und schädliche Insekten. Bäume sind oft exemplarisch für Resilienz und Langlebigkeit: Eiben etwa zählen zu den Härtesten unter den Hölzern. Die knorrigen Gewächse, in denen die Kelten eine Brücke zum Jenseits sahen, können selbst Blitz und Brand trotzen und tausend Jahre alt werden.
Arzneimittel gegen Stress
Ein Baum im US-Bundesstaat Utah hat vielleicht sogar weit mehr als 10.000 Jahre auf dem Buckel: "Pando" ist eine Zitterpappel, deren mehr als 47.000 Stämme aus einem einzigen Wurzelgeflecht stammen sollen -gewissermaßen ein "Wald aus einem Baum". Soeben haben Forscher im Fachjournal PLOS ONE auf die akute Bedrohung dieses Superorganismus und Naturdenkmals hingewiesen.
In der kulturellen Imagination ist der mythisch-religiöse Baumkomplex im Laufe der Jahrhunderte von einer distanziert wissenschaftlichen Sicht abgelöst worden (ohne freilich seine unterirdische Wirkung zu verlieren). Die biochemische Arbeit der Bäume wird nun auf die Waagschale gelegt. Aber auch im nüchternen Licht eines technokratischen Zeitalters erweisen sich die Gewächse als intime Verbündete. Große Wälder sind die grünen Lungen des Planeten, denn im Prozess der Photosynthese pumpen sie jede Menge frischen Sauerstoff in die Atmosphäre. Bäume schützen vor Erosion, sorgen für Kühle und Feuchtigkeit; wie ein Filter reinigen sie die Luft von Schmutzpartikeln. Und manche ihrer Duftstoffe wirken wie ein Arzneimittel zur Reduktion von Stress und zur Stärkung der Immunabwehr.
Doch angesichts der globalen Gefährdung durch den Klimawandel ist eine weitere Leistung der Bäume in den Fokus gerückt: Mit Kohlendioxid binden sie eines der wichtigsten Treibhausgase. Laut Schätzungen haben Wälder das Potenzial, ein Drittel der Emissionsreduktionen zu leisten, die zum Erreichen der Pariser Klimaziele erforderlich sind. Investitionen in Wälder gelten als rasch wirksame und bei weitem billigste Klimaschutzmaßnahme. Das hat man auch in China erkannt: Der weltweit größte Übeltäter beim Ausstoß von Treibhausgasen verfolgt seit Beginn des Jahres ein hoch ambitioniertes Aufforstungsprogramm. Knapp ein Viertel der Landfläche soll bis 2020 von Wäldern bedeckt sein, um die Emissionen stark zu senken.
Geschäft mit dem Klimaschutz
Doch nicht alles, was glänzt, ist immer Gold. Das zeigt Susanne Götze in einem Lokalaugenschein in Uganda, wo die Aufforstung zu problematischen Folgen geführt hat: Der Lebensraum der Landwirte ist geschrumpft; wertvolles Buschland wurde abgeholzt, um Platz zu schaffen für Hunderte Hektar an Kiefernmonokultur. Und der Wald blieb seltsam still: Lokale Umweltschützer beklagen verminderte Biodiversität und den Einsatz von Herbiziden wie Glyphosat. Kommerzielle Holzplantagen sind zuletzt wie Pilze aus dem Boden geschossen, denn das "grüne Landgrabbing" - die Privatisierung von Land für den Klimaschutz -hat in armen Ländern wie Uganda System, schreibt die deutsche Journalistin, die in ihrem Buch "Land unter im Paradies"(2018) weltweite Reportagen zu aktuellen Klimaschutzprojekten versammelt.
Dass die nächsten Jahre die letzte Chance sind, um katastrophale Entwicklungen durch den Klimawandel zu verhindern, hat kürzlich ein Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) verdeutlicht. Die angestrebte Obergrenze von 1,5 Grad an globalem Temperaturanstieg ist bald erreicht. Demgegenüber würden plus zwei Grad bis 2100 allein durch den Anstieg des Meeresspiegels zehn Millionen mehr Menschen in Mitleidenschaft ziehen. "Venedig werden wir verlieren", sagt Klimaforscher Anders Levermann -nur wann bleibt noch offen.
Mit seinen systemischen Auswirkungen erscheint der Klimawandel als geradezu mythische Herausforderung: Dürren und Hitzewellen sind ebenso zu befürchten wie Starkregen und "Sintfluten". Höchste Zeit, sich auf unser uraltes, mythisches Bündnis mit den Bäumen zu besinnen. Was hindert uns daran, sie zu umarmen?
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