Verehrung oder Empörung

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Der faszinierenden Suggestivkraft Thomas Bernhards kann man sich kaum entziehen. Über die Rezeption des einstigen Buhmanns der Nation.

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Der faszinierenden Suggestivkraft Thomas Bernhards kann man sich kaum entziehen. Über die Rezeption des einstigen Buhmanns der Nation.

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Alles hat sich in Wohlgefallen aufgelöst. Vergeben und vergessen sind die Skandale, mit denen Thomas Bernhard auf der Höhe seines literarischen Zenits seine Hasstiraden gegen Österreich zelebrierte und die Polit- und Kulturelite des Landes in einem permanenten Erregungszustand gebannt hielt.

Dass man dem vergangenen Jahrhundert einen der bedeutendsten Dichter geschenkt hat, darüber herrscht hierzulande inzwischen kein Zweifel mehr. Um das kulturelle Erbe zu bewahren und andere daran teilhaben zu lassen, werden Mühe und Kosten nicht gescheut, auch nicht vom österreichischen Staat, mit dem Bernhard - so der ausdrückliche Wunsch in seinem Testament - über seinen Tod hinaus nichts mehr zu tun haben wollte. Eine vom Staat hochsubventionierte Stiftung hat Wege gefunden, das Aufführungsverbot für Bernhards Theaterstücke zu umgehen. Für die Aufbewahrung und Betreuung des Nachlasses ist bereits ein würdiges Ambiente gefunden: Das Land Oberösterreich ermöglicht die Adaptierung der Villa Stonborough in Gmunden zum Bernhard-Archiv, das nationalen und internationalen Bernhard-Forschern eine Stätte zum geistigen Rückzugs in der Nähe der literarischen Wurzelndes Dichters bieten soll. Der Öffentlichkeit gestattet eine umfangreiche Schau einen Einblick in diesen Nachlass, sie wurde zum 70. Geburtstag des Dichters in der Österreichischen Nationalbibliothek gezeigt und wird ab 9. Mai im Linzer Stifter-Haus zu sehen sein.

Die Aufmerksamkeit für Bernhard ist unübertroffen, kein anderer österreichischer Dichter genießt den Luxus eines derart exklusiven eigenen Literaturarchivs. Ein Jahrzehnt nach seinem Tod haben sich die Wogen nicht nur geglättet, der einstige Buhmann der Nation ist zum Aushängeschild und zum kulturellen Statussymbol avanciert. Bernhard-Verehrer pilgern nach Obernathal, um eine der bäuerlichen Herrensitze des Dichters als Museum zu besichtigen und im Oberösterreichischen der literarischen Topographie nachzuspüren. Die Musealisierung des einst Verfemten ist perfekt, ein Schuss Folklore ergibt ein nützliches Abfallprodukt für die österreichische Wirtschaft. Soll man es Wiedergutmachung nennen oder tölpelhafte Heimzahlung? Oder handelt es sich einfach um das Resultat eines jahrzehntelang geführten subversiven Kampfes, der mit Schachmatt geendet hat: Während der eine der beiden Gegner ausgeschieden ist, führt der andere willenlos aus, was ihm durch den letzten perfiden Spielzug des Gegners aufgetragen wurde.

Die allgemeine Akzeptanz Thomas Bernhards als Kultautor provoziert dazu, einen kritischen Blick auf das Werk und vor allem auf die fehlende Kohärenz von dessen Rezeption zu werfen. Die Lektüre von Thomas Bernhard hat etwas Verführerisches. Der naive Rezipient tappt in die Falle konformistischer Lesart, er reagiert entweder mit bisweilen anbiedernder Verehrung oder mit hysterischer Empörung. Je nachdem sieht er sich durch die skandalträchtige Selbstinszenierung des Dichters in seiner Ablehnung bestätigt, oder er teilt die Anteilnahme am Leiden an der Welt und der Gesellschaft, amüsiert sich über die wortgewandte beißenden Häme des Satirikers und stimmt dem höhnischen und mitleidlosen Blick auf das Elend dumpfer Provinzialität zu. Im Bewusstsein einer zynischen Mitwisserschaft verzichtet er dann entweder darauf, die Beteiligung des eigenen Ich an der Misere der Welt in Erwägung zu ziehen, denn auf der Seite der "richtigen" Position fühlt er sich von jeder Verantwortung freigesprochen, oder er schließt sich der Selbstbezichtigung des Autors an und genügt sich in der Konstatierung einer Scheinmoral.

Der unmittelbare und unwillkürliche Eindruck, den man durch Bernhard-Lektüre aber auf jeden Fall gewinnt, ist das erdrückende Bewusstsein von Ausweglosigkeit, Ohnmacht und Verstörung, das vermittelt durch die Eindringlichkeit der manischen Sprachwelt mit eigentümlicher Faszination Besitz ergreift. Ein bisschen geht es einem dabei wie mit der Musik Richard Wagners, deren faszinierender Suggestivkraft man sich selbst dann nicht zu entziehen vermag, wenn die Musik eigentlich gar nicht gefällt. Thomas Bernhards Literatur funktioniert auf der Gefühlsebene. Als Reaktion auf die existentielle Irritation, in der Bernhard seine Leser zurück lässt, emotionalisiert sie. Und das ist gefährlich.

Um die interessanten Seiten an Thomas Bernhard jenseits des verfälschenden Eindrucks einer pessimistischen und zynischen Weltsicht zu entdecken, hat Alfred Pfabigan in seiner Studie "Thomas Bernhard - Ein österreichisches Weltexperiment" den Blick auf den Gesamttext vorgeschlagen, da der Einzeltext isoliert gelesen häufig eine andere Bedeutung habe als im Kontext des Ganzen. Hier löst das literaturwissenschaftliche Sezierbesteck in mühevoller Lesearbeit das Fleisch vom Skelett der Verbaltiraden und fördert eine präzise literarische Welt mit Lösungsangeboten zutage, die sich aus den Einzeltexten tatsächlich nicht so erschließen lässt. Dennoch befriedigt auch die Palette der Lösungen nicht eigentlich, die Bernhard uns anbietet, sie kommen vielmehr einer Flucht gleich: in die Geisteswelt, ins Ausland, ins momentan genossene Glück des Lebenskünstlers. Der Möglichkeit, sich der Geschichtslast der Vergangenheit, der als übermächtig empfundenen Tradition in konstruktiver Weise zu stellen, wird jedenfalls eine Absage erteilt.

Die Falle zum Missverständnis seines Werks hat der Autor übrigens durch gezielte Irreführung selbst gestellt: durch das Verfahren der Übertreibung, durch seinen distanzlosen, sich in aufdringlichen Wiederholungen ergehenden atemlosen Sprachstil, der den Blick auf die intellektuelle Substanz der Texte verstellt, durch die raumgreifenden Reflexionen der Weltsicht der Protagonisten, die dazu verführen, für die Meinung des Autors gehalten zu werden, und nicht zuletzt durch die Aussagen des Schriftstellers in seinen Interviews. Auch die These vom Gesamttext bringt den durchschnittlichen Leser in Verlegenheit, sie würde die absolute Hingabe an ein relativ umfangreiches Werk verlangen, ehe man über seine Wertschätzung entscheiden darf.

Bernhard kommt seinen Lesern nicht gerade entgegen, um von ihnen verstanden zu werden. Literatur, die fundamentale Gesellschaftskritik transportiert, die der Gesellschaft die Maske erbarmungslos vom Gesicht reißt, wie Bernhard es für alle verständlich getan hat, für deren Kommunzierbarkeit aber dermaßen viele Hindernisse eingebaut sind, versagt jedoch, wenn sie die offene Kommunikation mit dem Leser nicht leistet. Und sie offenbart eine tief zu Grunde liegende Ratlosigkeit.

Insofern ist Thomas Bernhards Werk mitsamt seiner Wirkungsgeschichte die in eine monomane Sprachwelt gemeißelte literarische Metapher der politischen Befindlichkeit der Zweiten Republik. Bernhard hat sein selbst formuliertes Ziel erreicht und die Nachfolge Doderers als Doyen der österreichischen Literatur angetreten. Ein radikalerer Gegensatz lässt sich gar nicht denken. Während Doderer die österreichische Vergangenheit, die vor dem nationalsozialistischen Inferno lag, schreibend zurück eroberte, trug Bernhard wesentlich dazu bei, Verschwiegenes und durch die Vergangenheit Belastetes zum Bestandteil des öffentlichen Diskurses zu machen. Aber dabei ist es auch geblieben. Wege, die diesen Diskurs in konstruktiver Weise lebbar und lösbar machen, hat er uns nicht gezeigt.

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