Vergangenheit, die nicht vergehen will

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Auf ein Wort

Was war das für eine Leidenschaft damals, vor 25 Jahren, als die Deutschen ihren "Historikerstreit“ durchlebten; eine hoch emotionelle Debatte zwischen Philosophen, Publizisten und Historikern. Es ging um das sensible Verhältnis zur eigenen Vergangenheit - und um die Frage nach der Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung.

Keiner aber, der an dieser Kontroverse beteiligt war, wäre damals auf die Idee gekommen, die Novemberpogrome 1938 so schamlos zu banalisieren, wie das jetzt HC Strache ("Wir sind die neuen Juden!“) getan hat.

Woraus Lehren zu ziehen wären

Die Aufregung ist groß. Die Lehren daraus aber bleiben vermutlich bescheiden - bei allen Beteiligten. Dabei steigt kaum einer von ihnen ganz ohne Flecken aus diesem Ring:

Ich habe kein Verständnis für jene, die glaubten, ihren Antifaschismus vor den Toren der Hofburg mit antidemokratischen Rowdytum beweisen zu müssen.

Ich habe wenig Sympathie für einen Journalismus, der sich - rhetorisch maskiert - an Prominente heranpirscht, um ihnen etwas möglichst Unsägliches zu entlocken.

Und ich bedauere, dass selbst profunde Politologen wie Anton Pelinka ungewollt an der NS-Verniedlichung mitwirken und jetzt verkünden: "Der Unterschied zwischen FPÖ und NSDAP ist, dass sich die NSDAP keine Juden (als Parlamentarier) geholt hat ...“

Alles kein Ruhmesblatt - und doch nicht vergleichbar mit Straches mehrfachem Sündenfall:

• Da will einer künftig Kanzler werden - und hat jetzt erneut bewiesen, dass er das kleine Einmaleins unseres so mühsam etablierten Geschichtsbildes versäumt und nie nachgeholt hat.

• Da formuliert er im vermuteten Kreis von Gesinnungsfreunden und "in Erregung“ einmal ganz ehrlich und ungeschützt - und plötzlich wird offenkundig, was wirklich in ihm ist.

• Und da beweist er tags darauf unter Verteidigungsdruck, wie schnell der letzte Anstand verdunstet - als er versucht, seine Entgleisung ("Wir sind die neuen Juden!“) zur Solidaritätsgeste umzudeuten: Die FPÖ als moderner Schicksalsgefährte jenes jüdischen Opfervolks, dessen Spitzenvertreter Muzikant man ohnedies - leider vergeblich - zum Ball geladen habe. Spätestens da waren ihm alle historischen und ethischen Maßstäbe abhanden gekommen.

Geschichte stiftet Sinn und Kultur

Kein Zweifel: Der Bundespräsident hatte gute Gründe, Strache den vorgesehenen Orden zu verweigern. Noch besser wäre es freilich gewesen, er hätte diesen Entschluss zunächst dem Betroffenen selbst und erst nachher, wenn überhaupt, den Medien mitgeteilt.

Zu den Erfahrungen des deutschen "Historikerstreits“ gehörte: Ein Verzicht auf Geschichtsbewusstsein bedeutet auch einen Verlust an nationaler Sinnstiftung; damit auch an politischer Kultur - und an Politikfähigkeit.

Sind wir Österreicher so ganz anders gestrickt?

Kann sich gerade jener HC Strache, der ganz auf die wachsende Politikverdrossenheit setzt, jetzt auch auf unsere Geschichts-Verdrossenheit und politische Vergesslichkeit verlassen?

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