Vergangenheit erfinden

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Amerikanische Fotografie von 1940 bis heute in der Kunsthalle Wien.

Inszenierter Alltag oder doch geduldig erwartete Schnappschüsse? Die Arbeiten der 13 Künstlerinnen und Künstler zieren sich, lassen sich nicht so leicht in die Karten schauen, obwohl sie allesamt ihren dokumentarischen Charakter vor sich hertragen. "Eine Fotografie ist das Geheimnis von einem Geheimnis. Je mehr sie einem erzählt, desto weniger weiß man", bemerkt Diane Airbus zu ihren Werken, was sich unmittelbar auch von allen anderen behaupten lässt.

Kultur der USA-Außenseiter

Bekommt man also nichts zu sehen? Ganz im Gegenteil, 66 Jahre Kultur der Außenseiter, der Randständigen, manchmal der Alternativen ist unwiderruflich auf Zelluloid gebannt. So treffen Kinder aus dem New York der 1940er Jahre, die sich mit ihren Spielzeugpistolen auf eine Gangsterkarriere einstimmen, auf die Gangmitglieder der 60er Jahre, die tatsächlich verwundet sind, wenn sie nicht gar auf dem Totenbett liegen. Jugendliche aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs bekommen lange Hälse vor dem Fenster eines Billardsaales, zu dem sie sich offensichtlich den Eintritt nicht leisten können. Und machen einen biederen Eindruck gegenüber den Gleichaltrigen aus den 80er Jahren, die ihren Voyeurismus wesentlich unmittelbarer ausleben. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Geschichte des Sittenverfalls. "In Amerika ist der Fotograf nicht nur die Person, die die Vergangenheit festhält, sondern jene, die sie erfindet", vermerkt Susan Sontag.

Der reiche Onkel aus Amerika fehlt, dafür gibt es andere Ikonen. Gordon Parks' Putzfrau posiert als American Gothic mit teilnahmslosem Blick vor der amerikanischen Flagge. Sie wird flankiert von einem Besen und einem Wischmob, die auf ihren Stielen als tatsächliche Fahnen fungieren und die stolzen Stars and Stripes im Hintergrund zur Staffage degradieren. Richard Avedon zeigt seine Protagonisten im Dreiviertelporträt, jeweils mit genauer Orts-und Zeitangabe versehen, aber stets mit optisch neutralem Hintergrund. Die allesamt starken Charaktere werden damit austauschbar, ganz gleich ob es sich um den blassen Bienenzüchter handelt oder um die schwarz verschmierten Kumpel aus dem Kohlebergwerk. Burk Uzzle hebt sein in einen Quilt gehülltes Pärchen aus der Menschenansammlung anlässlich des utopischen Love-and-Peace-Konzertes in Woodstock hervor. Bruce Davidson durchbricht sein Foto einer Hauswand aus Ziegelsteinen mit einem Fenster, das wie ein Bild in einem Bild funktioniert und aus dem zwei Kinder blicken - durchbrochen durch den davor genagelten Hühnerstallmaschendraht.

God's own country sieht ziemlich verloren aus. "Amerika ist das exotischste Land der Welt", vermerkt der Weltenbummler Burk Uzzle, "es ist auch das einsamste".

Americans. Meisterwerke amerikanischer Fotografie von 1940 bis heute

Kunsthalle Wien, Museumspl. 1, 1070

Bis 4. 2. tägl. 10-19, Do 10-22 Uhr

Katalog: Amerika. Die soziale Landschaft von 1940 bis 2006, Meisterwerke amerikanischer Fotografie, Bologna 2006, 200 S, Euro 24,-

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