Vergebt euren Gläubigern

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Rufe nach einer 'echten' Fiskalunion können im Moment nicht überzeugen. Zu groß ist die Angst vor dem Abrutschen in eine nicht mehr kontrollierbare 'Schuldenunion'.

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Rufe nach einer 'echten' Fiskalunion können im Moment nicht überzeugen. Zu groß ist die Angst vor dem Abrutschen in eine nicht mehr kontrollierbare 'Schuldenunion'.

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Paradoxer Rollentausch im griechischen Sommerdrama: die Gläubiger stehen als die eigentlich Schuldigen da. Genialer Regieeinfall oder bloß plumpes Laientheater? Finanzminister Schäuble, der überzeugte Europäer, muss sich gefallen lassen, als Wiedergänger des "hässlichen Deutschen" oder "Zuchtmeister Europas" beschimpft zu werden, weil er daran festhält, dass Neukredite nur gegen die Einhaltung von Vereinbarungen erhältlich sind. Die darauf pochen, bezeichnet Griechenlands Regierungschef als "Terroristen".

Unter den Vorzeichen einer solchen Schuldumkehr sind substantielle Zugeständnisse kaum zu erwarten. "Vergebt euren Gläubigern" möchte man deshalb jenen zurufen, die ihr Land nach einem durchaus vielversprechenden Anfang in den letzten Monaten durch eine verquere Verhandlungstaktik an den Rand eines volkswirtschaftlichen Desasters geführt haben.

Griechenlands Finanzminister provozierte mit dem Volksabstimmungs-Nein sogar bewusst jenen Austritt aus dem Euro ("Grexit"), den angedacht zu haben er Schäuble zum Vorwurf machte. Ministerpräsident Tsipras hingegen respektierte den Wunsch seiner Landsleute, im Euro zu verbleiben und trennte sich von Varoufakis. Verhilft die beeindruckende Energie, mit der er nun in kürzester Zeit parlamentarische Mehrheiten mobilisiert hat, dem Reformpolitiker wider Willen wieder zu jenem Mininum an Grundvertrauen, das er für einen Verhandlungserfolg jedenfalls brauchen wird?

Ein weiteres Zusammenrücken der Euro-Staaten ist durch die aktuellen Zuspitzungen indes weniger wahrscheinlich geworden. Rufe nach einer "echten" Fiskalunion mit einem eigenen Parlament der Euro-Kernländer und einem Finanzminister, der direkt in die Budgets der Mitgliedsstaaten eingreift, können im gegenwärtigen Umfeld nicht überzeugen. Zu groß ist die Angst vor dem Abrutschen in eine nicht mehr kontrollierbare "Schuldenunion".

Ehrliche Bestandsaufnahme überfällig

Vor dem, was wir nun erleben, hat 1997 Nobelpreisträger Milton Friedman gewarnt. Zwar sei das Ziel der Gemeinschaftswährung, die Vereinigten Staaten von Europa vorzubereiten. Er glaube jedoch, "dass die Einführung des Euro den gegenteiligen Effekt haben wird. Sie wird politische Spannungen verschärfen, indem sie ökonomische Schocks, die durch Änderung der Wechselkurse leicht hätten gemildert werden können, zu umstrittenen politischen Themen macht." Ich gebe - nicht gerne - zu, dass ich seine Warnung damals nicht ernst nehmen wollte.

Bevor noch weiteres Porzellan zerschlagen wird, wäre eine ehrliche Bestandsaufnahme überfällig: Ja, Griechenland braucht einen Schuldenschnitt. Nein, dieser kann nicht ohne Bedingungen gewährt werden. Ja, auch ein Austritt aus der Eurozone muss diskutierbar sein. Und nein, ohne verbesserte Regeln für den Umgang mit sanierungsbedürftigen Staaten wird es nicht gehen. Denn der Weg zur vollständigen Union, in der Geld- und Fiskalpolitik in einer gemeinsamen Verantwortung liegen, bleibt auf absehbare Zeit verschlossen.

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