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Das Europäische Jahr zur Bekämpfung der Armut geht bald zu Ende. Die Armut von Familien und vor allem von Kindern wird allzu leicht verdrängt, dabei ist sie besonders folgenreich.

Zu Thomas Berghuber kommen Menschen, die nicht mehr wissen, welche Rechnung sie zuerst zahlen sollten. Berghuber ist Geschäftsführer der Schuldnerberatung Oberösterreich und seit über 20 Jahren damit beschäftigt, Menschen aus der privaten Finanzkrise zu helfen.

Sein Hauptklientel sind Niedrigeinkommensbezieher, erklärt er: #Wenn bei diesen, obwohl sie halbwegs mit dem Geld auskommen, ein kleines Problem dazu kommt, sind sie sofort überschuldet. Da braucht nicht viel passieren#, sagt der Jurist. Ein blöder Autounfall, eine Bürgschaft aus der letzten Beziehung # und diese Familie ist überschuldet.# Dann gibt es laut Berghuber Familien, die mit dem Nettoeinkommen auskommen könnten # die aber am #zeitgemäßen Konsum# teilnehmen wollten. Viele von diesen würden jeden Monat das Konto um nur 200 Euro überziehen. Trotzdem: Die Schuldenspirale beginnt sich zu drehen. Dann gibt es laut Schuldenexperten noch jene, die zwar viel Geld haben, und dennoch nicht damit umgehen könnten. #Denen kann man nicht helfen#, so Berghuber. Was er beobachtet: #Immer mehr Menschen, insbesondere Familien mit Kindern, können sich mit ihrem Nettoeinkommen ein normales menschenwürdiges Leben nicht mehr leisten.# Die Anforderungen seien gestiegen. Ein Handy pro Kind, ein jährlicher Urlaub, das zweite Auto. #Eltern sind versucht zu sagen: Wir schaffen das schon, damit mein Kind nicht arm ausschaut, damit kein blödes Gerede aufkommt.# Ob diese Familien schlichtweg zu wenig Geld haben für ein Leben in dieser modernen Gesellschaft oder damit nicht umgehen können? Es gibt beides.

Anforderungen sind gestiegen

Der Schuldnerberater hat täglich damit zu tun, was andere nicht sehen wollen: Armut von Familien und Kindern. Ein Problem, das Österreich als Sozialstaat nicht gerne behandelt. Aber es gibt sie, wie Zahlen der Statistik Austria und Eurostat untermauern: Demnach leben 15 Prozent der bis zu 17-Jährigen in armutsgefährdeten Haushalten, 90.000 bis 100.000 Kinder leben in Familien, die als #manifest arm# gelten. Die Zahl sei in den letzten Jahren gestiegen, so Martin Schenk von der Armutskonferenz. Er vermutet, dass Armut in Familien weiter ansteigen könnte, da prekäre Jobs nicht weniger werden würden. Hauptbetroffene sind laut Schenk Alleinerziehende gefolgt von kinderreichen und zugleich einkommensschwachen Familien sowie Familien mit Migrationserfahrung. Unter den 170.000 Sozialhilfebeziehern hierzulande sind 45.000 Kinder.

Worauf die Regierung lieber verweist: Österreich schneidet im europäischen Vergleich bei der Armutsbetroffenheit gut ab, zitiert Schenk jüngste Studien. Wir belegen vordere Plätze. #Wenn man aber ins Detail geht und den Fokus auf Alleinerziehende lenkt, dann rutscht Österreich in den Plätzen ab#, sagt Schenk.

Die Österreichische Plattform für Alleinerziehende sucht daher Auswege für ihre Mitglieder, wie jüngst bei einer Tagung #Wege aus der Kinderarmut# in Linz. Langfristig wird laut Geschäftsführerin Elisabeth Wöran eine Kindergrundsicherung gefordert. Zudem das Recht eines jeden Kindes auf Unterhalt durch jenen Elternteiles, der das Kind nicht hauptsächlich betreut. Immer noch müssten viele Alleinerziehende (zu 88 Prozent sind dies Frauen) um den Unterhalt vor Gericht kämpfen oder verzichten gar darauf. #Es soll klar sein, dass ein Kind ein eigenständiges Recht darauf hat. Eigentlich gibt es diese Rechte, nur in der Umsetzung hapert es#, so Wöran.

Die Diplomsozialarbeiterin sieht noch grundsätzlichere Probleme. Frauen würden immer noch weniger verdienen als Männer, vielfach sind sie in Teilzeitjobs tätig, manche in mehreren geringfügigen Beschäftigungen, bei denen sie nur unfall- aber nicht kranken- oder pensionsversichert sind.

Die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen ist auch für Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser, wesentlich im Kampf gegen Armut. #Vor allem Frauen, die in Trennungszeiten leben, geraten oft in die Armutsfalle#, erklärt sie. Nicht wenige Frauen, die Gewalt durch Partner erleben, würden auch aus dieser Angst heraus, eine Trennung hinausschieben. Viele Frauen verzichten laut Rösslhumer auf ihre Ansprüche, etwa Unterhalt, um möglichst rasch aus der Gewaltspirale herauszukommen.

Frauen verzichten auf Ansprüche

Expertinnen in den Frauenhäusern würden daher die Frauen beraten und unterstützen, ihre Ansprüche einzufordern. #Frauenhäuser sind nicht nur Gewaltpräventions-, sondern auch Armutspräventionseinrichtungen.#

Viele Kinder mit Gewalterfahrungen brauchen therapeutische Hilfe. Doch auch hier hapert es im Sozialstaat Österreich. #Kinder werden als #Armutsopfer# nicht wirklich wahrgenommen#, warnt der Arzt Klaus Vavrik, Präsident der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Armut bedeute aber einen Ausschluss von sozialen Möglichkeiten, von Bildungschancen, von Teilhabe. Und Armut mache krank. Zunächst aufgrund dessen, dass arme Eltern oft unter andauerndem Stress stehen würden, erläutert Vavrik. Das bedeute weniger Bindungssicherheit für die Kinder. Zudem sei der Zugang zum Gesundheitssystem nur scheinbar kostenfrei. Für Therapien müssten Selbstbehalte bezahlt werden.

#Armut macht daher doppelt krank: Arme Menschen haben eine dreifach so hohe Krankheitslast wie reichere Menschen. Sie leben oft in unhygienischen Wohnverhältnissen und ernähren sich ungesund. Zudem haben diese Menschen Schwierigkeiten, entsprechende Therapien zu erhalten#, so Vavrik. Er fordert daher kostenfreie Therapien für Kinder und ein System von frühen Hilfen, um sozialschwachen Familien Unterstützung anzubieten. Zusätzlich bräuchte es auch bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten und ein Schulsystem, das nicht sozial ausgrenzt sowie ganztägige Betreuung und Förderung anbietet, fügen Experten wie Martin Schenk hinzu. Maßnahmen müssten darauf zielen, dass Armut nicht vererbt werde, so Schenk, was heute noch der Fall sei. Schulen müsste soziale Benachteiligungen ausgleichen können, nicht verstärken. Die Verantwortlichen in der Regierung, allen voran Familienstaatssekretärin Christine Marek, konnten oder wollten nichts Näheres sagen, ob das Problem Kinderarmut als solches anerkannt sei oder was man dagegen im Europäischen Jahr gegen Armut zu tun gedenke. Dafür gibt es seit Längerem Ankündigungen, dass allein im nächsten Jahr im Familienressort 235 Millionen Euro gespart werden müssen.

Gespart wurde auch im Familienbericht 2010. Nach Kritik der Grünen und eines verantwortlichen Experten wurde ein Teil aus dem Familienbericht herausgenommen: jener über Kinderarmut. Im Staatssekretariat verweist man auf die mangelnde Qualität des Berichts. Die Grünen warfen Marek vor, als damals noch in Wien wahlkämpfende ÖVP-Chefin ein derart unangenehmes Kapitel nicht brauchen zu können. Das wurde von Marek klar zurückgewiesen. Die Wien-Wahl ist geschlagen, die Budgetsanierung droht # das Kapitel wird wieder auftauchen, ob im Bericht oder im realen Leben.

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