Vergessene Bahnbrecher der vergeßlichen Republik

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Aus Reinhard Federmanns fingierten Briefen aus dem Revolutionsjahr 1848 weht es heutige Leser kühl an: Gescheiterte Hoffnungen, verblaßte Schicksale, vergessene Tragödien.

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Aus Reinhard Federmanns fingierten Briefen aus dem Revolutionsjahr 1848 weht es heutige Leser kühl an: Gescheiterte Hoffnungen, verblaßte Schicksale, vergessene Tragödien.

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Die Revolution von 1848 begeht ein halbrundes Jubiläum, sie ist 150 Jahre her, aber wer feiert ihn mit, diesen historischen Gedenktag? Daß damals in der Wiener Herrengasse die Grundlage für vieles gelegt wurde, was heute im republikanischen Staatswesen Österreich selbstverständlich ist, ändert nichts an einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber der Revolution von 1848. Um so dankbarer müssen wir sein, wenn uns ein Autor die Motive der Handelnden von damals verständlich macht. Zum Beispiel der 1976 verstorbene Reinhard Federmann, dessen Briefroman "Barrikaden" neu aufgelegt wurde. Er entstand Anfang der siebziger Jahre, als es noch Zukunftshoffnungen - und den damals so gern zitierten "Mief von tausend Jahren unter den Talaren" zu vertreiben - gab.

Auch diese Aufbruchsstimmung ist ja bekanntlich vorbei. Die Verwandtschaft zu den Vorfahren im Geiste ist jedoch geblieben, auch wenn sie heute, wenn schon nicht verleugnet, so doch zumindest vergessen wird - sieht man von jenen Blauäugigen ab, die sich selbst als des Bauernbefreiers Kudlich Wiedergeburt oder zumindest als dessen legitimer Sohn ausgeben.

Die Form des Briefromans mag als Bürde erscheinen, wer schreibt heute schon Briefe, wer liest sie - und dann noch ein ganzer Roman in Briefform? Diese Form ist aber höchstens auf den ersten Blick ein Handikap. Tatsächlich verschafft sie dem Roman eine Unmittelbarkeit, welche die handelnden Personen nach wenigen Seiten als alte Bekannte, als Familienmitglieder erleben läßt.

Franz Hafner aus Nikolsburg ist ein Student der Rechte und beginnt 1847 mit seinem Studium in Wien, sein Bruder ist Soldat und in Esseg an der Drau stationiert, wo er auch rebellierende Bauern niederkämpfen muß. Franz schreibt Anton und mokiert sich über dessen Haltung, Franz berichtet der Schwester über die politischen Lesevereine, daneben finden sich Briefe von Franz an den vor den Spitzeln geflohenen Carl Sonntag und Meldungen einer Fabrikantenfamilie, der von Wagners, bei denen Franz und einige spätere liberale Herren verkehren.

Briefe deuten an, setzen voraus, Federmann gelingt die Wanderung auf dem Grat, die ihm die Form vorschreibt, stillt dabei jedoch das Informationsbedürfnis der Leserinnen und Leser. Was soll's, fragt man sich freilich, wenn Franz, wenige Tage nach den Massendemonstrationen und den ersten Toten in der Herrengasse, den Pulvergeruch noch im Haar und neben sich stöhnende Kameraden, die Zeit und Muße findet, einen langen Brief an seine Schwester zu verfassen. Doch über derlei kann man hinwegsehen, denn Federmann ist tatsächlich ein Meister der kleinen Form, er vermittelt geschickt, wie die Entwicklung zwischen März und Oktober 1848 im Zeitraffertempo ablief - und wie schnell sich die gefeierten Mitstreiter zu Reaktionären wandelten, wie zum Beispiel Innenminister Bach. Wie ganz einfach zuviel auf die politische Tagesordnung gesetzt wurde, die bürgerlichen Rechte und zugleich die Rechte der Arbeiter in den Vorstädten, und wie letztlich auch dies zum Scheitern beitrug.

Wohl gewählt sind auch die Schicksale, beispielsweise jene der beiden Brüder. Während der gescholtene Anton als Offizier der ungarischen Armee nach einem Standgerichtsurteil der österreichischen Militärgerichtsbarkeit 1849 gehängt wird, heiratet der - nun vormalige - "Barrikadenkämpfer" Franz seine Gärtnerstochter und wird Hof- und Gerichtsadvokat. Die Spur von Carl Sonntag, der auch am badischen Aufstand teilnahm, verliert sich in Amerika.

So sang- und klanglos endet der Roman, als wären, ganz und gar realistisch, die restlichen Briefe eben einfach verschwunden. Doch wie meint, sehr wohl ebenfalls realistisch, der Redakteur Doktor Jellinek, der am 9. November - wie der Journalist Becher und der Abgesandte des Frankfurter Parlaments Robert Blum - standrechtlich erschossen wird? "Etwas bleibt, das sie nicht nehmen können."

Federmann läßt Verwandtschaftsverhältnisse aufblitzen. Unverkennbar gilt seine Liebe sowohl jenen, die zu früh gekämpft haben, als auch jenen, die später ihre Vergangenheit verschleiern und vergessen machen mußten. Er entwirft aber darüber hinaus ein lebendiges Bild des damaligen Wien. Auch heutige geschäftige Innenstadtbesucher mögen wohl nach der Lektüre dieses schmalen Buches die Rotenturmstraße, die Herrengasse und den Michaelerplatz mit anderen Augen durcheilen. Es muß ja nicht gleich ein Erschauern vor der Aura des historischen Bodens sein. Aber ein kühles Wehen wird man spüren können.

BARRIKADEN Roman von Reinhard Federmann Picus Verlag, Wien 199

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