Vergessene Wurzeln

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In der Steiermark wurde eine blühende Moderne vom Faschismus erstickt. Ab nächster Woche erinnert eine Ausstellung in der Neuen Galerie Graz an die Kunst jener dunkler Zeit.

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In der Steiermark wurde eine blühende Moderne vom Faschismus erstickt. Ab nächster Woche erinnert eine Ausstellung in der Neuen Galerie Graz an die Kunst jener dunkler Zeit.

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Die Moderne in der Steiermark ist keine Erfindung des Steirischen Herbstes. In der Malerei bestanden seit Beginn des 20. Jahrhunderts enge Beziehungen zu den Kunstmetropolen, besonders zu München. Alle Richtungen waren vertreten, vom Surrealismus und Expressionismus bis zur abstrakten Malerei. Doch diese blühende Entwicklung wurde durch die politischen Verhältnisse behindert, unterbrochen, zunichte gemacht. Die Ausstellung "Moderne in dunkler Zeit" - ab nächster Woche in der Neuen Galerie Graz zu sehen - zeigt ein tragisches Kapitel der steirischen Kunstgeschichte. Einige der ausgestellten Werke stammen von Künstlern, die bis heute bekannt geblieben sind, die nach 1945 weiterarbeiten konnten. Andere sind so gut wie vergessen und werden erst jetzt nach mühsamer Forschungsarbeit wieder gewürdigt.

Die Verfolgung durch die Machthaber schien sich weniger gegen die Werke zu richten als gegen die Künstler, ihre Persönlichkeit und ihre Gesinnung. Vielleicht fehlten in der Steiermark verbindliche Richtlinien, was als "entartete Kunst" zu gelten hatte, denn eine entsprechende Ausstellung wie im "Altreich" gab es nicht. Doch Gesinnung, Abstammung und Krankheiten, die das Leben eines Menschen "unwert" machten, gaben genügend Gründe für Verfolgung. Diese reichte von Ausstellungsverbot, Vertreibung ins Exil bis zur Ermordung.

Ein Porträt in dieser Ausstellung steht exemplarisch für diese Schicksale, wurden doch Malerin und Modell Opfer der Nazi-Ideologie: Eine schöne, junge Frau blickt leise lächelnd vor sich hin. Die Signatur lautet "Ida Sofia Maly, 17. Juni 1917".

Erkrankt, ermordet Die Malerin, eine Grazerin, besuchte zunächst die Landeskunstschule und setzte dann ihre Studien in Wien und München fort. In der Alten Pinakothek kopierte sie so virtuos einen Spitzweg, dass sie mit diesem Bild ein Stipendium nach Paris erhielt. Ida Maly wurde Mutter einer Tochter Elga Maly, später eine der führenden Malerinnen der Steiermark. Als Ida an einem psychischen Leiden erkrankte, wurde sie in das Grazer Psychiatrische Krankenhaus eingewiesen. Sie malte auch dort noch, doch sind die Bilder aus dieser Zeit verschollen, wahrscheinlich vernichtet. Im Jahr 1941 wurde sie im Rahmen des "Euthanasie-Programms" in die Vernichtungsanstalt Hartheim verlegt und ermordet.

Das Modell des Porträts, Martha Newes, und ihre Schwester Tilly Wedekind waren mit Ida Maly eng befreundet. Martha war eine beliebte Bühnenschauspielerin, sie filmte, ging auf Tourneen. Sie hatte nur einen Fehler: einen jüdischen Großvater. Deshalb wagte sie nicht, um Aufnahme in die Reichstheaterkammer anzusuchen und zog sich ins Privatleben zurück. Nach 1945 stand sie noch ab und zu auf der Bühne, doch an ihre so plötzlich unterbrochene Karriere konnte sie nicht mehr anknüpfen.

Mehr Glück hatte Rudolf Pointner, der schon als junger Maler Zugang zum Surrealismus gewann und zum Altmeister der steirischen Malerei wurde. Er kam schon 1934 mit dem Austrofaschismus in Konflikt und wurde nach dem Februarputsch kurze Zeit inhaftiert. Nach 1938 galten seine Bilder als "entartet" , sein surrealistisch-kubistischer Stil stand in allzu krassem Gegensatz zur Blut-und-Boden-Malerei. Pointner desertierte 1944 aus der Wehrmacht und wurde Mitglied der französischen Widerstandsbewegung. Dort aber war der Deutschhass stärker als die lauterste Gesinnung. Er wurde in einem Kriegsgefangenenlager interniert, doch kehrte er gesund in seine Heimat zurück.

Das bekannteste Opfer war der Architekt Herbert Eichholzer, 1943 in Wien hingerichtet. So gut wie niemand kennt heute mehr Anny Dolschein. Sie hatte sich in Paris der Neuen Sachlichkeit zugewendet, ihre Bilder gehören zu den wenigen Beispielen dieser Richtung in der Steiermark. Nach 1938 hielt sie sich mit Gebrauchsgrafik über Wasser, ihre Bilder durfte sie nicht mehr ausstellen. Sie überlebte das Kriegsende, doch starb sie 1946 in bitterer Armut.

Die bis heute hochberühmte Norbertine Bresslern-Roth ist eines der raren Beispiele, wie Popularität als Schutz dienen konnte. Ihr Mann hatte eine jüdische Mutter, doch lehnte sie das Ansinnen ab, sich von ihm zu trennen. Aus der "Vereinigung der Künstlerinnen" wurde sie 1938 ausgeschlossen, an sie selbst wagten sich die Machthaber aber nicht heran, denn in der Steiermark galt sie als Institution.

Ein schlimmeres Schicksal hatten der Maler und Bildhauer Josef Heu, der mit seiner jüdischen Frau nach England flüchtete, nachdem sein Atelier beschlagnahmt worden war oder die Fotografin Grete Zahrastnik-Paunovic. Sie arbeitete für Oper und Theater in Graz, verhalf gemeinsam mit ihrem Mann russischen Kriegsgefangenen und französischen Zwangsarbeitern zur Flucht, wurde monatelang verhört und bis Kriegsende im KZ Ravensbrück inhaftiert. Nach 1945 war die Moderne in der Steiermark fast vergessen, und es dauerte Jahre, bis diese Wurzeln wieder entdeckt wurden. Manche sind bis heute verschüttet, die Ausstellung wird sie wieder freilegen.

23. März bis 30. Juni

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