"Vergewaltigung ist eine Waffe im Krieg"

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Im Film "agnus Dei. Die Unschuldigen" bringt anne Fontaine den Wahnsinn des Kriegs ebenso auf die leinwand wie Fragen nach Widerstand, Ergebung - und dem Glauben. | Das Gespräch führte Otto Friedrich

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Im Film "agnus Dei. Die Unschuldigen" bringt anne Fontaine den Wahnsinn des Kriegs ebenso auf die leinwand wie Fragen nach Widerstand, Ergebung - und dem Glauben. | Das Gespräch führte Otto Friedrich

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Die französische Regisseurin Anne Fontaine verfilmt in "Agnus Dei" die auf historischen Ereignissen beruhende Geschichte eines polnischen Frauen klosters nach einem Überfall von Sowjetsoldaten anno 1945.

Die Furche: Was interessierte Sie an der Geschichte von "Agnus Dei"?

Anne Fontaine: Ich war von der Intensität der Geschichte im Hinblick auf die menschliche Natur sehr beeindruckt: wie diese schwangeren Ordensfrauen, die von Soldaten vergewaltigt worden waren, sich in diesem metaphysischen Konflikt zwischen Glaube, Mutterschaft, Leben wiederfanden. Mich interessierte auch, wie die säkulare und die religiöse Welt hier miteinander konfrontiert wurden. Es handelt sich ja auch um reale Geschehnisse. Die junge französische Ärztin Madeleine Pauliac

Die Furche: die kurz nach dem Krieg ums Leben kam, und die im Film Mathilde Beaulieu heißt

Fontaine: hat Tagebuch geführt, wo sie über die schwangeren Nonnen schreibt. Diese Vorgänge und das Nachdenken darüber, was Glaube ist, ob der Glaube widerstehen kann und welche Art zu glauben man in einem Augenblick wie diesem hat: Das ist eine sehr dichte Struktur für einen Film.

Die Furche: Aber war es nicht auch schwierig, die Realität eines polnischen Konvents aufzubauen.

Fontaine: Um diese Klostergemeinschaft für den Film zu erschaffen, zog ich mich zweimal in französische Abteien zurück und habe mit den Schwestern mitgelebt. Vielleicht war das Klosterleben in Polen zu Kriegsende traditioneller, aber die Fragen, denen ich begegnet bin, nach der Autorität, nach der Hierarchie waren doch sehr ähnlich. Ich habe jeden Tag mit den Schwestern gesprochen und ihnen von meiner Geschichte erzählt und gefragt, wie sie reagieren würden. Mir war wichtig, etwas über ihre Art zu glauben zu erfahren, über ihre Art zu beten, wie sie ihre Körper verhüllen. Ich konnte das nicht in Polen tun, denn dort hätte man mich kaum in eine Gemeinschaft hineingelassen, und ich spreche ja nicht polnisch. In Frankreich haben mir Menschen geholfen, die wollten, dass ich die religiöse Welt weder folkloristisch noch karikierend übersetze.

Die Furche: Sie hätten ja zeigen können, wie furchtbar die Hierarchie, oder der verlangte Gehorsam ist

Fontaine: aber ich wollte kein Melodram machen. Natürlich gibt es die Hierarchie und diejenigen, die angepasst sind wie die Mutter Oberin. Die Persönlichkeiten der Schwestern sind sehr unterschiedlich - die eine ist sehr ängstlich und die andere kann sich vorstellen, eine Mutter zu sein. Schwester Maria wieder war ungehorsam gegenüber der Oberin, indem sie Leben rettete. Es ging mir überhaupt nicht darum, für oder gegen den Katholizismus zu sein, sondern darum, die Frage zu stellen, wie man in einer derartigen Welt glauben kann. Und auch, wie verschiedene Glaubenszugänge aufeinandertreffen und etwas entwickeln, was aus dem Alptraum herausführt. Das kann die Begegnung mit jemandem sein, der nicht glaubt wie die französische Ärztin. Es geht um ein menschliches Abenteuer. Es wäre dumm, nur auf der Ebene der Kritik zu bleiben.

Die Furche: Im Verlauf des Films lernen die Schwestern, mit der Situation umzugehen.

Fontaine: Sie lernen, gegenüber der Mutter Oberin ungehorsam zu sein, das heißt, sie lernen, Anordnungen zu missachten, wenn Leben in Gefahr ist.

Die Furche: Derartige Fragestellungen gibt es ja auch beim Verhalten etwa unter dem NS-Regime, wo viele später sagten: Wir haben ja nur Befehle ausgeführt.

Fontaine: Man muss sich Anordnungen widersetzen - die französische Ärztin missachtet die Befehle ihrer militärischen Vorgesetzten. Diese Befehlsverweigerung war ja auch mutig, weil die Soldaten in den Wäldern hätten ja auch die Ärztin vergewaltigen können - ebenso die Ordensfrau, die die französische Ärztin um Hilfe bittet und deshalb das Kloster verlässt und durch die Wälder muss. Und sie weiß auch, dass sie von der Oberin bestraft werden wird. Einige Figuren im Film sind sehr mutige Frauen - in beiden Welten, der religiösen wie der säkularen. Vergewaltigung wird im Krieg als Waffe eingesetzt. Das hat sich bis heute nicht verändert: Der Soldat hat das "Recht" zu vergewaltigen.

Die Furche: Wie reagierte die katholische Kirche auf den Film?

Fontaine: Ich konnte meinen Film im Vatikan auf einer Versammlung von Ordensfrauen und -männern zeigen: Viele der Teilnehmer weinten am Ende. Der Bischof, der diese Versammlung leitete, ein Vertrauter von Papst Franziskus, sagte: Der Film sei für die Kirche ein therapeutischer Film. Ich war von dieser Aussage überrascht. Aber er meinte, Geschichten dieser Art wären viel zu lang verschwiegen worden. Und er sagte auch, dass sich Derartiges nicht bloß in der Vergangenheit ereignet habe.

Die Furche: Die Reaktion in Polen?

Fontaine: In den polnischen Kinos lief der Film gut. Die einzigen wirklich negativen Reaktionen kamen aus Russland. Das hat damit zu tun, dass die russischen Soldaten im Film nicht gut wegkommen. Diese Reaktion war dumm, denn ich kritisiere ja nicht Russland, sondern Soldaten -und die könnten aus vielen Ländern sein.

TIPP: Unschuld und Sühne

FURCHE-Filmpräsentation "Agnus Dei" & Gespräch mit Sr. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Frauenorden Österr. Filmcasino, Wien V., Margaretenstr. 78 Mo. 19.6., 20 Uhr www.filmcasino.at

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