Verkehrsinfarkt ist vermeidbar

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Aus der nüchternen Sicht des Betriebswirtschafters ist der Lkw der Bahn haushoch überlegen. Weil sich das in absehbarer Zukunft nicht ändern wird, plädiert der Logistiker Peter Klaus dafür, den Straßen-Güterverkehr effizienter zu gestalten. Das könnte wesentlich dazu beitragen, dass die befürchtete Explosion des Ost-West-Transitverkehrs nicht stattfindet.

Die Furche: Für Österreich wird eine Verdoppelung des Lkw-Transits bis 2015 vorhergesagt. Halten Sie diese Entwicklung für wahrscheinlich?

Peter Klaus: Ich sehe das nicht so dramatisch. Bedenken Sie: Die Wende hat den Beitrittsländern eine rapide Umstellung des Verkehrssystems gebracht. In den sozialistischen Systemen war die Bahn quasi per Dekret das Hauptverkehrsmittel. Diesen Prozess der Abkehr vom künstlich hoch gehaltenen Bahnanteil noch zehn Jahre fortzuschreiben, halte ich für einen krassen Fehler.

Die Furche: Die Wachstumsraten des Lkw-Verkehrs sind aber auch in den EU-15-Ländern beachtlich...

Klaus: Unstrittig ist, dass die Entwicklung des Straßengüterverkehrs im Westen - gemessen in Tonnenkilometern - nach oben zeigt. Allerdings besteht der größte Teil des Zuwachses aus dem Anwachsen der Entfernungen. Wenn etwa in Deutschland die Lkw-Leistung zwischen 1993 und 2003 um 40 Prozent zunahm, so ist das nur auf den Anstieg der mittleren Entfernungen zurückzuführen: von ca. 80 auf 110 Kilometer.

Die Furche: Sind nicht die zurückgelegten Kilometer das Störende?

Klaus: Nein. Nehmen die Tonnenkilometer um zehn Prozent zu, weil zehn Prozent mehr Tonnage bei gleichen Fahrtstrukturen zu bewältigen sind, wächst auch die Straßenbelastung um zehn Prozent. Wird die gleiche Steigerung aber bei unveränderter Tonnage durch einen höheren Anteil weiträumiger Fahrten - diese Veränderung erleben wir derzeit vor allem - erbracht, sind die Effekte anders: Es werden weniger, aber größere Lkws eingesetzt, die die größeren Entfernungen auf Fernstraßen zurücklegen mit einer Geschwindigkeit, die bei 70 bis 80 km/h liegt. Die Straßenbelastung wird dann nach meiner Schätzung um "nur" drei bis vier Prozent steigen. Weiters ist noch der beachtliche Produktivitätsfortschritt zu berücksichtigen, den wir heute, insbesondere im weiträumigen Straßengüterverkehr sehen.

Die Furche: Was ist da gemeint?

Klaus: Die Entwicklung, dass die Auslastung der Fahrzeuge, also die beförderte Tonnage pro gefahrenen Kilometer, steigt.

Die Furche: Wie gut sind die Fahrzeuge denn ausgelastet?

Klaus: Im Durchschnitt nur zu rund 50 Prozent. Viele Spezialfahrzeuge (Tank-, Baustoff- oder Kühlfahrzeuge) haben keine Chance auf einen Rücktransport. Bei anderen Transporten lässt sich da aber etwas verbessern: Immer mehr Güterverkehr verlagert sich vom "Werksverkehr" der Industrie und des Handels zu den Speditionen und Logistik-Dienstleistern. Sie schaffen eine bessere Auslastung ihrer Fahrzeuge, weil sie Ladungen mehrerer Auftraggeber bündeln können. Auch die Konzentration im Speditions-Sektor trägt zur Effizienz-Steigerung bei. Speditionen mit hunderten von Lkws und verteilten Auftraggebern können die Ladungs-Aufkommen effizienter bewältigen als kleine Betriebe.

Die Furche: Fällt diese Effizienz-Steigerung ins Gewicht?

Klaus: Klaus: Ich schätze, dass man die mittlere Auslastung in den nächsten sechs bis sieben Jahren von derzeit ca. 50 auf ca. 60 Prozent anheben könnte. Die Tatsache, dass die Verkehrsströme zwischen den Regionen unausgewogen sind, bedeutet allerdings, dass man niemals nahe an 100 Prozent kommen kann. In Deutschland besteht zum Beispiel ein Ungleichgewicht zwischen alten und neuen Bundesländern. Diese haben kaum Industrie, müssen aber 16 Millionen Menschen versorgen. So fahren täglich tausende Lkw beladen von West nach Ost, kehren aber leer zurück.

Die Furche: Wird sich im Ost-West-Verkehr mit den neuen Mitgliedsstaaten Ähnliches abspielen?

Klaus: Nein. Die Beitrittsländer sind heute vorwiegend Lieferanten von transportintensiven Grundstoffen. In Ziffern: 100 Prozent Tonnage gehen heute von Polen nach Deutschland, 70 Prozent in die umgekehrte Richtung. Und noch etwas: In allen europäischen Wirtschaften findet eine Verschiebung von der Güter- zur Dienstleistungsproduktion statt. Die zu transportierenden Tonnagen, die für ein bestimmtes Bruttosozialprodukt benötigt werden, stagnieren, werden vielleicht sogar schrumpfen. Das ist in den Güterverkehrsprognosen zu wenig berücksichtigt. Aus meiner Sicht werden von der 100-prozentigen Steigerung 30 bis 40 Prozent echte Mehr-Belastung überbleiben. Eine große Herausforderung, aber zu bewältigen, ohne dass es zum "Verkehrsinfarkt" kommen muss.

Die Furche: Wie sehen Sie die Chancen der Bahn im Güterverkehr?

Klaus: Für die nächsten fünf bis acht Jahre muss man die Erwartungen sehr niedrig ansetzen. Im Moment sind die technischen Systeme in den Beitrittsländern sehr veraltet. Von den Organisations- und Managementproblemen bei der Integration rede ich gar nicht.

Die Furche: Ist die Situation im Raum der EU-15 besser?

Klaus: Nicht viel. Der Anteil der Bahn hat in den letzten Jahren nicht zugenommen.

Die Furche: Es wird viel von Schiene statt Straße gesprochen. Warum ändert sich da nichts?

Klaus: Die Vorteile des Lkw gegenüber der Bahn sind für viele Einsatzfälle einfach überwältigend: Jedes Fahrzeug ist mit einer Person besetzt ist, die mindestens ein Handy hat. Der LKW ist zeitlich, geographisch sehr flexibel, die Bahn bisher ein schwerfälliges System. Außerdem haben die Bahnen ihre Bemühungen stark auf den Personenverkehr gelegt. So haben z.B. Intercitys Vorrang vor jedem Güterzug. Diese müssen in kurzen Abständen "rechts rausfahren", um Personenzüge vorbei zu lassen. So kommt keine dem Lkw-Verkehr halbwegs ebenbürtige Servicequalität zustande.

Die Furche: Wäre nicht die Schiene durch Verteuerung des Straßengüterverkehrs deutlich zu begünstigen?

Klaus: Das wird keine große Umschichtung hervorrufen. Denn der Kostenanteil des Transports liegt meist bei zwei bis fünf Prozent der meisten Güter. Wenn nun eine Maut die Kosten um zehn, ja um 20 Prozent erhöht, ist das - auf die Gesamtkalkulation bezogen - ein Kostenanstieg von 3,6 statt drei Prozent. Das steht in keinem Verhältnis zum Vorteil der schnellen, pünktlichen, begleiteten Haus-zu-Haus-Zustellung des Lkw. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne große Anteile des Straßengütertransports auf die Bahn verlagern. Was heute Vorrang haben sollte: Die Produktivität der Lkw-Einsätze zu steigern, also mehr Tonnage und größere Strecken pro Stunde, in der der Lkw die Straße belastet, zu schaffen. Steigt diese Produktivität pro Jahr um drei Prozent - was möglich ist - kann man den durch die Erweiterung in den nächsten zehn Jahre erwarteten Tonnage-Zuwachs nahezu auffangen.

Das Gespräch führte Christof Gaspari.

Spezialist für Verkehrslogistik

Ende April hatte die ÖAMTC-Akademie zur Tagung "Wirtschaftsverkehr: Nachhaltig!" eingeladen. Hauptreferent war der Leiter der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Technologien der Logistik-Dienstleistungswirtschaft, Peter Klaus.

Geboren 1944 in Frankfurt an der Oder, absolvierte er 1963 das Abitur in Nürnberg. Es folgten ein Studium der Betriebswirtschaftlehre in Nürnberg und parallel dazu eine Lehre als Speditionskaufmann.In den Jahren 1970 bis 1978 war er leitend in der Firma "Kraftverkehr Klaus", einem Unternehmen mit 500 Mitarbeitern, tätig. Es folgten Studien am Massachusetts Institut of Technology und an der Boston University.

Von 1982 bis 1990 war Klaus Professor an der Fachhochschule für Wirtschaft in Pforzheim und seit 1990 ist er Inhabers des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftlehre, insbesondere Logistik, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg.

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