Verlierer und Gescheiterte

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Federmanns kleine Geschichten von kleinen Leuten. Eine Wiederentdeckung.

Die Stimme" heißt die Sammlung von Erzählungen des 1976 verstorbenen österreichischen Autors Reinhard Federmann, die nun der Picus Verlag publizierte. Federmann, der Mitglied der Gruppe 47 und Generalsekretär des PEN war, verleiht in diesen Skizzen einigen Verlierern der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Stimme, er porträtiert sie mit Ironie, ist aber zurückhaltend mit seiner Bewertung. Diese seltene Form der Menschenliebe zeichnet die kleinen Geschichten von kleinen Leuten aus.

Da ist der "schielende Engel" namens Thaler auf einem Klassenfoto aus dem Jahr 1930, dessen ganzes Denken auf Geld gerichtet ist: "Er hatte darüber Essen und Trinken vergessen, hatte vergessen zu heiraten, er hatte nicht einmal richtig wahrgenommen, dass sein Vater gestorben war." Da ist der einsame, von schrecklichen Träumen geplagte Arzt Dr. Morawec im Krankenhaus, der zaghaft der Krankenschwester näherzukommen trachtet und plötzlich mit ihr allein im Raum ist. "Sie zuckten zusammen und sahen einander voll Schrecken an, als müßten sie es am Gesicht des anderen ablesen, was zu tun war, wenn sich draußen etwas rührte. Aber draußen blieb alles still." Da ist Leo, der Sohn des Rechtsanwaltes Dr. Heymerle, der regelmäßig den Tresor des Vaters mit einem Nachschlüssel öffnet und sich bedient und versucht, zu schreiben.

Einsam auch er: "Was war alles Geschreibsel der Welt gegen ein einziges Erlebnis! Jetzt müßte sich die Tür öffnen und die Blaue müßte im Türrahmen erscheinen." Die von ferne verehrte Frau kommt jedoch nicht: "So saß er traurig da und sah auf das traurige Volk, das im schwindenden Licht zu unbekannten Zielen wallfahrtete. Ach nein, die Ziele waren nicht so unbekannt: Aufschnitt mit Bier. Plärrende Kinder, die noch nicht schlafengehen wollen? Ein müdes Ins-Bett-Fallen und die müde Frage: was morgen? Mit der stummen Antwort: dasselbe."

Manche Personen kehren wieder. So erfahren wir die Geschichte des Dr. Morawec im Krieg und auch vom Nervenzusammenbruch des Landesgerichtsrates Budil, der die Akten nach Hause nimmt und sich bis zum Wahnsinn in einen Fall verbeißt. Leo taucht in der Erzählung "Willy" als Kleinkrimineller wieder auf und stiehlt mit einem Freund Grabplatten. Österreichische Geschichte aus der Sicht von Herrn Karls Schwester oder Mutter, wie im Fall der Hausmeisterin Leopoldine Javurek: "Drüben im Augarten konnte man, wenn man Glück hatte, ein, zwei Erzherzöge spazieren sehen, und zehn Heller waren ein großes Trinkgeld. Nachher kamen die Roten, und Frau Javureks Umgebung wurde Republik. Damals kamen die Morde auf. Um Brot mußte man sich anstellen. Später gab es noch immer Morde, und das Geld fiel um. Dann kam der Schilling, da hatte es wieder Sinn in der Lotterie zu spielen."

Die Figuren stoßen an die eigenen Grenzen und die ihrer bürgerlichen Existenz und blicken in eine existentielle Leere. An dieser Grenzlinie schreibt Federmann dahin. Meist endet er auch dort: "Es war dämmrig. Und nichts geschah". Der Leser darf dann in die menschlichen Abgründe allein absteigen. Der Autor deutet das Ende nur an, "wenn der goldene Traum zu schäbigen Resten herabsinkt".

Schade ist nur, dass in dieser Sammlung der editorische Kommentar fehlt: Sind die Erzählungen bereits publiziert, wenn ja, wo und in welcher Zusammenstellung, oder handelt es sich um Veröffentlichungen aus dem Nachlass? Weitere Federmann-Wiederentdeckungen sind geplant, damit dieser Autor nicht vergessen wird, der sich im Österreich der Nachkriegszeit und der Restauration so schwer tat, eine richtige Heimat zu finden.

Die Stimme

Erzählungen von Reinhard Federmann

Picus Verlag, Wien 2001

144 Seiten, geb., e 18,90

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