Verloren in der Maschinerie eines Machtapparates

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Er führte das Leben eines Revolutionärs. Victor Serge (1890-1947), eigentlich Wiktor Lwowitsch Kibaltschitsch, Sohn eines russischen Offiziers und einer polnischen Kleinadeligen, kam in Brüssel, wo seine Eltern ins Exil gezogen waren, zur Welt. Schon als Jugendlicher schließt er sich radikalen linken Bewegungen an und macht früh die prägende Erfahrung eines Gefängnisaufenthalts. Als in Russland die Revolution ausbricht, tritt er den Bolschewiki bei, schafft es aber nicht, die Entscheidungen der Partei bedingungslos mitzutragen. Er versucht das Unmögliche, möchte ein Linker bleiben und Kritik an den russischen Verhältnissen üben. Das wird ihm zum Verhängnis. Er wird mehrmals verhaftet, und nur über Intervention westlicher Intellektueller gelingt ihm die Ausreise nach Frankreich.

Sein Leben steht für eines der unzähligen Schicksale im 20. Jahrhundert, die nicht zur Ruhe kommen durften und von autoritären Mächten aufgerieben wurden. 1941 floh er nach Mexiko, wo er unter ungeklärten Umständen verstarb. Mit seinen Schriften über einen demokratischen Sozialismus stand er auf verlorenem Posten. Zwischen 1936 und 1938 schrieb er am Roman "Schwarze Wasser", der jetzt erstmals auf deutsch zugänglich gemacht wurde. Er ist ein einzigartiges Dokument, das mit erschreckender Genauigkeit von der Zerstörung von Menschen erzählt, die in die Maschinerie eines Machtapparates kommen, der zu entkommen sie keine Chance haben.

Gespräche über Sozialismus und Gerechtigkeit

Das Buch ist ein Vorläufer von Solschenizyns "Archipel GULAG", zumal hier einer aus eigener Erfahrung von der Auslöschung der Staatsfeinde unter Stalin berichtet. Die Abweichler hätten im hohen Norden, abgeschieden von der Zivilisation, einen von der Außenwelt unbemerkten Tod sterben sollen. Doch Serge gibt ihnen ihre Geschichte zurück.

So lesen wir von Kostrow, der eine Ahnung hat, dass ihm etwas Dramatisches zustoßen könnte, als der Rektor beschließt, seine "Vorlesung vorübergehend auszusetzen". Kostrow ist "in keiner Weise abergläubisch", aber er hat schon verstanden, dass er mit Logik das System Stalin nicht zu durchdringen vermag. Das ist erst der Anfang einer Schreckensgeschichte. Er wird verhaftet und deportiert ohne recht zu verstehen, worin sein Vergehen eigentlich besteht. Er ist einer von vielen, die sich nie illoyal zur Partei verhalten haben und denen dennoch irgendwann einmal ein eigenständiger Gedanke entschlüpft ist. Das genügt, um so einen wie Kostrow los werden zu müssen.

Serges Roman ist dennoch mehr als ernüchternde Abrechnung mit dem Stalinismus. Er ist starke Literatur, die von der inneren Gespaltenheit der Verbannten redet. Hier, in den Tiefen des Ural, führen sie endlose Gespräche über Sozialismus und Gerechtigkeit - ein starker Kontrast zu den Bildern der endlosen Weite und Ödnis einer feindlichen Natur, die keine Gnade kennt.

Schwarze Wasser

Von Victor Serge, aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Rotpunktverlag 2014. 288 Seiten, geb., € 23,60

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