Verrückt Erheitert

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ANDREAS UNTERWEGER NENNT SEINE TEXTE ERZÄHLUNGEN -UND ÜBERRASCHT DAMIT.

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ANDREAS UNTERWEGER NENNT SEINE TEXTE ERZÄHLUNGEN -UND ÜBERRASCHT DAMIT.

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Im Englischen ist es kein Kompliment, wenn man sagt, jemand sei "nuts". Damit attestiert man ihr oder ihm in deutlich abschätziger Weise, verrückt geworden zu sein oder zumindest etwas nicht Normales zu tun. Als "dreckig", "schäbig" oder "schmutzig" lässt sich "grungy" übersetzen. Und dann hat man auch schon, in umgekehrter Reihenfolge, den Titel des neuen Buches von Andreas Unterweger. Zudem ist "Grunge" eine Musikrichtung aus den 1990er-Jahren. Von Punkrock und Heavy Metal beeinflusst und wie der Urahn Jazz aus dem "Underground" kommend, ist sie heute genauso akzeptiert wie die anderen, einst revolutionären Verwandten.

Die Elf -Zahl für das Unabschließbare

Schäbig ist das Buch keinesfalls, das Cover-Foto einer bunt bemalten Backsteinwand wirkt eher einladend als abschreckend. Somit weisen das Cover und der Titel auf ein Spiel hin, das schon vor der Lektüre beginnt und in sieben Erzählungen seine Fortsetzung findet, von denen die vierte "Elf. Erzählungen" heißt. Die Zahl Elf steht symbolisch für das Unabschließbare oder Nichtabgeschlossene, man denke an Thomas Manns Roman "Buddenbrooks", der mit dem elften Teil endet. Der Begriff "Erzählungen" wird von "Grungy Nuts" auch nur frech behauptet. Wer so etwas wie Figuren mit Konturen und eine konventionelle Handlung erwartet, dem lässt sich mit dem Titel einer Erzählung von Heinrich Böll entgegenhalten: "Es wird etwas geschehen." Nur ist es bei Unterweger nicht weniger uneindeutig als bei Böll, was geschehen soll oder geschieht. "Die Instrumente", Erzählung Nummer drei, kommt sogar als dreiaktiges Drama daher.

Was lässt sich festhalten, um der wachsenden Verwirrung Einhalt zu gebieten? Die Protagonisten der Erzählungen sind 17 Jahre jung. Einige von ihnen haben eine Band. Am Ende des Buches geht es abwärts, in mögliche 18 (hinter der Zahl steht ein Fragezeichen) Untergeschoße, womit wenigstens tendenziell Volljährigkeit erzielt wäre. Die erste Erzählung beginnt allerdings in einer "Dachkammer". Neben Musik sind Mädchen ein wich iges Thema. Doch sind die weiblichen Figuren für die Jungen so unbegreifbar wie für die Leser ungreifbar.

Anspielungen auf Musik und Literatur finden sich zuhauf, neben Kurt Cobain ist Franz Kafka ein wichtiger Gewährsmann. Kafkaesk geben sich die Texte, die auf Hofmannsthals sogenannten Chandos-Brief anspielen, den bekannten Vergleich von modrigen Pilzen und zerfallenden Worten aktualisieren und sich damit klar in die Tradition der Literaturgeschichte der Moderne stellen. Nicht nur bei "Das Liebesleben der Meerjungfrauen" hat sich der Rezensent an die Erzählungen aus "Picknick der Friseure" der Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe erinnert gefühlt. Zudem dürfte in diesen Texten, die von langen Sätzen und Satzzeichen so fröhlich-exzessiven Gebrauch machen, auch ein bisschen Arno Schmidt stecken.

Dabei thematisiert sich der Text immer wieder selbst und treibt ein witziges Spiel mit seinem eigenen Textsein: "Koffers Vater, 'der Dichter!'(wie Koffers Mutter ihn nannte), verdankte seinen posthumen 'Weltruhm', der sich auf einige betont schöngeistige Kreise seiner Geburtsstadt (von der er selbst gesagt hatte, sie sei 'in schöngeistiger Hinsicht kaum ein Kuhdorf') beschränkte, einem Buch mit dem Titel Elf. Erzählungen."

Koffer ist zum Zeitpunkt des Verschwindens seines Vaters - wie könnte es anders sein - elf Jahre alt, und ihn rettet offenbar, dass er das Buch seines Vaters nicht gelesen hat. Anders ergeht es seiner -passenderweise -17-jährigen Schwester, die gegen ihre Mutter rebelliert und der die Lektüre des väterlichen Buches wohl in einem Hochwasser zum Verhängnis wird, auch wenn es heißt, man habe die Schwester "nicht gefunden". Auch den Lektor, dessen Beziehung zur Mutter nicht ganz geklärt ist, scheint ein grausiges Schicksal ereilt zu haben. Der örtliche Polizeichef spielt eine unrühmliche Rolle als fettleibiger Liebhaber. Und auch das Buch des Vaters verschwindet, so wie seine einzige Leserin, die Tochter. Vielleicht sollte man das nicht ernster nehmen als nötig, wenn man die Ironie in Rechnung stellt: "Die Schlagerfans hingegen posteten auf Facebook apokalyptische Theorien."

Wenn das Medium Buch durch Facebook abgelöst wird, kann man auf apokalyptische Gedanken kommen, auch wenn sich die Kritik an sozialen Netzwerken nur andeutungsweise findet. Wer weiß, worauf mit dem tödlichen Ende angespielt wird -der Assoziationsraum ist weit und das Spiel ist ein offenes. Jede der Erzählungen zwingt ihre Leser, wenn sie sich auf das Spiel einlassen wollen, dazu, dessen Regeln und Ausgang entscheidend mitzubestimmen. Andreas Unterweger wurde 1978 in Graz geboren. Diese Stadt bietet offensichtlich einen guten Nährboden für Ungewöhnliches. Zu den vielen berühmten Mitgliedern der fünf Jahre zuvor gegründeten "Grazer Autorenversammlung (GAV)" gehört etwa Friederike Mayröcker. Werner Schwab stammte aus Graz und der renommierte Literaturverlag Droschl, der Andreas Unterwegers Bücher herausbringt, hat seinen Sitz dort.

Ein Buch für Junggebliebene

Unterweger hat sich bereits einen Namen gemacht als Verfasser von ungewöhnlichen, nachdenkenswerten und dabei stets heiteren Texten. Wer ein Buch zum Verschenken sucht, das keine Konfektionsware ist und über das sich ein längeres Gespräch mit dem Beschenkten nicht vermeiden lässt, der ist bei Unterweger etwa mit "Wie im Siebenten"(2009),"Du bist mein Meer"(2011) oder "Das kostbarste aller Geschenke"(2013) an der richtigen Adresse.

Doch der Ton von "Grungy Nuts" ist für ihn neu, auch wenn es in der österreichischen Literatur ja nicht unüblich ist, mit Sprache zu experimentieren. Es ist ein Coming-of-Age-Buch über, aber nicht für 17-Jährige, sondern für alle Junggebliebenen, die ein wenig nostalgisch, ein wenig mitleidig und ein wenig amüsiert zurückblicken.

Ein bisschen verrückt fühlt man sich nach der Lektüre und auf eine nachdenkliche Weise erheitert. Oder auf eine heitere Weise nachdenklich? Lesen wir es lieber noch einmal.

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