Versöhnung - eine Illusion?

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Scholl-Latour hält den Frieden im Nahen Osten für unmöglich.

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Scholl-Latour hält den Frieden im Nahen Osten für unmöglich.

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Wurden Saddam Husseins chemische und bakteriologische Waffen mit Hilfe Amerikas und Europas aufgebaut? Die Frage stellt sich bei der Lektüre von Peter Scholl-Latours "Lügen im Heiligen Land". Nach 40 Jahren, in denen er den Nahen Osten bereiste, in Beirut arabische Kultur studierte, Dokumentationen drehte und Bücher schrieb, reißt offenbar dem Autor die Geduld.

Den Irak kennt er seit Jahrzehnten und hat große Sympathie für seine Bewohner. Umso härter geht er mit den Amerikanern ins Gericht. Seit Saddam Hussein an der Macht ist, schreibt er, spielten sie ein falsches Spiel mit der Weltöffentlichkeit. Während des Krieges mit dem Iran hätten sie ihn hochgelobt, ohne sich davon stören zu lassen, daß Zehntausende Iraner unter seinen Giftgasbomben eines elenden Todes starben. Erst als er die Kurden mit Giftgas bombardierte, hätte die Weltöffentlichkeit gefunden, das sei aber nicht nett. Was Desinformation betreffe, so hätte "Wüstensturm", der Krieg nach der Besetzung Kuweits durch die Truppen Saddams, alle Rekorde gebrochen. Präsident Bush, so Scholl-Latour, habe den zu groß gewordenen Saddam am Vorabend der Invasion unter der Hand ermutigt, sich Kuweits zu bemächtigen. US-Botschafterin April Glaspie, eine studierte Arabistin, habe "vor der Besetzung Kuweits ein ausführliches Gespräch mit Saddam geführt". Die Antwort auf seine Frage, "wie denn Amerika auf eine solche Militäroperation reagieren würde, sei eindeutig gewesen": Amerika sei gegen jede Expansionspolitik, doch dies sei eine innerarabische Sache, und die USA würden sich heraushalten. Dabei bezieht sich Scholl-Latour allerdings auf vertrauliche Mitteilungen hochgestellter Iraker. Offiziell dürfe dies nicht gesagt werden, es bedeute ja, daß sich der geniale Diktator habe hereinlegen lassen.

Der Autor hat Schwierigkeiten, die sympathischen Menschen des Irak, vom zweiten Mann des Regimes Tarek Aziz abwärts und den mörderischen Präsidenten auseinanderzuhalten. Natürlich sei Saddam ein krankhafter Mörder. Bei einem Empfang des engsten Kreises habe Saddam plötzlich die Pistole gezogen und einen Mitarbeiter erschossen, "nur weil ihm dessen Auftreten suspekt, der Blick verschlagen erschien."

Präsident Hafez el Assad, seit 1970 in Syrien an der Macht, ist aus anderem Holz geschnitzt. Das solle nicht heißen, daß in Syrien nicht gemordet wurde. Doch Assads Regime habe sich im Lauf der Jahrzehnte gemildert. Die Religionsgemeinschaft, auf die er sich stützt, die Alawiten, seien während der sunnitischen Herrschaft stets verfolgt worden. Unter den Franzosen wurden sie mit Vorliebe Lehrer oder wählten die Armee und "schlossen sich als unausgegorene Halbgebildete den sozialistischen Bewegungen und vor allem der Baathpartei an". Hafez el Assad war Kommandeur der syrischen Luftwaffe, als sich die Baathregierung im Kampf zwischen König Hussein von Jordanien und den Palästinenern an deren Seite stellen wollte. Er wußte, daß dann die Israeli eingreifen würden und dieser Krieg nicht zu gewinnen war. Er ergriff die Macht, ohne jedoch die Baathpartei auszuschalten.

Auch Assad steht unter dem Druck der islamischen Fundamentalisten. Bereits 1980 versuchten sie mit einem Generalstreik das Regime zu stürzen. Der Kampf erreichte 1982 seinen Höhepunkt. Die "Streiter Allahs" richteten Blutbäder unter linken Intellektuellen und den Alawiten an und rieben Eliteeinheiten der Armee auf, bis Assad seine ganze Macht einsetzte: "Luftwaffe, schwere Artillerie und Panzer wurden gegen die muslimischen Umstürzler aufgeboten." Die Stadt Hama, ihr Hauptquartier, wurde dem Erdboden gleichgemacht. 20.000 Menschen sollen dabei umgekommen sein.

Die syrische Besetzung des Libanon erklärt der stellvertretende Außenminister Adnan Omran dem Autor als Verhinderung der gegenseitigen Ausrottung der Religionsgemeinschaften. Statt verständnislos zu kritisieren, solle sich der Westen an Syrien ein Beispiel nehmen, wie das Problem Jugoslawien ohne größere Kosten zu meistern sei.

Am intensivsten hat Scholl-Latour wohl die Entwicklung in Israel verfolgt. An sich neigt er eher zu den Israeli, die Palästinenser stehen ihm zu links. An den Friedensprozeß glaubt er nicht, Netanjahu sei von den Medien bloß zum Sündenbock erkoren worden, da er doch die unangenehme Wahrheit gesagt habe. Denn der Friede sei unmöglich.

Die Gründe dafür liegen zweieinhalb Jahrtausende zurück, nämlich beim Propheten Ezra, erfährt Scholl-Latour von alten israelischen Freunden. Der sei mit einer verschärften Neudeutung des jüdischen Glaubens aus Babylon gekommen (im Auftrag des Perserkönigs Xerxes, sei nebenbei erwähnt) und seither schwele der Kampf zwischen den beiden jüdischen Tendenzen. 47 Prozent hielten 1996 einen Bürgerkrieg in Israel für wahrscheinlich. Die neuen Zeloten wollen dem Volk Gesetze und Verhaltensweisen aufzwingen, die sich in ihrer Grundhaltung kaum von den Forderungen der islamischen Fundamentalisten unterscheiden. Auf der anderen Seite scheinen die säkularen "Herodianer" an Boden zu verlieren, wie das ja auch in den arabischen Ländern zu beobachten sei. Ohne Rückblick ließen sich die derzeitigen Spannungen kaum erklären.

Netanjahu habe in dieser Lage den realistischen Weg beschritten. Denn bei den Osloer Verhandlungen sei "zwischen Juden und Palästinensern keine einzige wirklich relevante Frage geklärt worden." Die auch unter Peres weiterverfolgte Siedlungspolitik habe die Westbank zerstückelt. Wie könne man von Prozenten eines Gebiets sprechen, die an die Palästinenser zurückgegeben werden, wenn überall jüdische Siedlungen entstehen, die von der Armee bewacht und beschützt werden. Oft gebe es dazu noch gar keine Bewohner, stellt der Autor fest. Arafat und seine Gefolgsleute hätten sich, auf die Zusagen von Peres bauend, 80 Prozent der Westbank als Gebiet errechnet, das völlig ihrer Verwaltung unterstehen werde.

Netanjahu sei eben realistischer. Das heiße aber noch lange nicht, daß Israel die Palästinenser einfach überrollen könne. Zwischen Laizisten und Zeloten habe sich eine Wirrnis von Stämmen herausgebildet, ehemalige Russen und Marokkaner und Jemeniten und Ostjuden und Amerikaner, die alle noch unter sich zerstritten seien. Die orientalische Sucht, Komplotte und Verschwörungen, habe auch Israel erfaßt.

Leider kann sich Scholl-Latour nicht ganz von seinen Vorurteilen lösen. Wenn er von gleich großen Massakern berichtet, hängt der Grad seiner Entrüstung weitgehend davon ab, wer ihm politisch sympathischer ist. Dafür entrüstet er sich über Kollegen, die Lügen aufdecken: Der investigative Journalismus habe sich "der israelischen Meinungsmacher wie eine Seuche bemächtigt." Der bedrängte Staat könne es sich doch nicht leisten, "jedes Fehlverhalten der eigenen Führung bloßzulegen". Darf das nur Scholl-Latour - oder schreibt auch er nur, was er für taktisch richtig hält?

Lügen im Heiligen Land Machtproben zwischen Euphrat und Nil Von Peter Scholl-Latour Siedler Verlag, Berlin 1998 456 Seiten, Ln., öS 364,-

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