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Kürzlich war ich in Istanbul. Meine Frau, die Kinder aus aller Welt unterrichtet und vermutlich als letzte Österreicherin daran festhalten wird, dass die Türkei Mitglied der eu werden solle, hatte sich diese Reise lange gewünscht. Am dritten Tag zogen wir im Stadtteil Beyoglu die lange Istiklal Caddesi entlang, an der an diesem Vormittag die ganze Türkei unterwegs schien: Mädchen in Miniröcken, misstrauische anatolische Bauern, bis auf einen schmalen Sehschlitz verschleierte Frauen, Punker beiderlei Geschlechts, Geschäftseuropäerinnen im Business-Kostüm, das Handy am Ohr ... Bei Nr. 429 fiel uns ein Kreuz auf, so klein, als wolle es nur ja kein Aufhebens von sich machen. Neugierig geworden, gingen wir durch den Torbogen und fanden uns auf einer Treppe, die hinunter, nicht hinauf zu einer kleinen Kirche führte.

Die Santa Maria Draperis-Kirche ist kein sakrales Kunstwerk, aber ein geradezu heimeliges, mit Bildern aus einer naiven deutschen Schule des 19. Jahrhunderts sparsam ausgestattetes Gotteshaus. Wir waren in der Kirche völlig allein, doch war einem Hinweis zu entnehmen, dass hier täglich um acht Uhr früh die heilige Messe auf Italienisch gelesen werde. In einer Nische neben dem Eingang entdeckte ich eine Tafel, auf der ungelenk stand: "Johann Valcic und Martin Cocianac vom s.m. Schiff hum, die am 30. Juni 1897 bei aufopfernden Rettungsarbeiten in Ausübung der edelsten Menschenpflicht verunglückten." Ich weiß nicht, ob es ihre demütige Lage ist - sie liegt, hinter Mauer und Häuserzeile versteckt, unterhalb des Straßenniveaus -, die ärmliche Ausstattung in einer Stadt, die so viel sakrale Pracht entfaltet, oder die Tafel, die hier in Istanbul an den Tod zweier slawischer Untertanen des österreichischen Kaisers erinnert: die unscheinbare Kirche jedenfalls ist uns, so viele Sehenswürdigkeiten wir an diesem Tag noch zu sehen bekamen, nicht aus dem Kopf gegangen.

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