Erfahrungen eines Klassentreffens.
Wir trafen uns beim Heurigen. Klassentreffen. Ich verrate nicht, das wievielte - unsere Matura liegt lang zurück. Einer von uns zeigte ein Video nach einem Schmalfilm, schwarz-weiß und in übler Qualität. Aber darauf waren einige unserer Lehrer zu sehen, die uns damals unendlich alt erschienen, obwohl sie jünger waren als wir heute. Zwei davon habe ich deutlich in Erinnerung. Der eine hatte Autorität, setzte sich ohne Drohungen durch und galt uns als Muster strenger Gerechtigkeit. Der andere war jovial, zu Scherzen aufgelegt, ließ sich (in Maßen) auf die Schaufel nehmen. Bei der Matura half uns der Strenge über den aufregungsbedingten Gedächtnisschwund hinweg, der Joviale dagegen war um sein Image vor der Maturakommission besorgt, spielte den Unbestechlichen und ließ einige von uns über die Klinge springen.
Die Erinnerung hatte Gegenwartsbezug. Die zwei Lehrer gerieten uns über die Distanz von Jahrzehnten zu interessanten Modellen. Man kennt sie alle, die Politiker, Kirchenfürsten, Firmenchefs, die beim Zuhören so verständnisinnig den Kopf neigen und uns wissen lassen, dass alles im Lot ist. Harmonie und Ordnung prägen ihr Image, und das hat seinen Preis. Sie lassen schon einmal Kinder oder Eheleute zu Opfern eines ordentlichen Asylgesetzes werden, schaffen sich Kirchenkritik durch Rede-, Schreib- oder Liturgieverbote vom Hals, weil Scheiterhaufen nicht modern sind. Oder sie setzen Leute auf die Straße, um den Gewinn zu maximieren, was uns eben die Post als ihre Erfolgsstory erzählt. Denn auch Wohlstand kostet: Damit sich die einen wohl fühlen, zahlen die anderen drauf.
Der andere Lehrer - er hat die altmodischen Fächer Latein und Griechisch unterrichtet - ist schon vor Jahren gestorben. Er fehlt uns sehr, haben wir beim Heurigen gefunden. Sein Typ wäre heute gefragt.
Der Autor ist freier Journalist.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!