Vertiefung der Botschaft

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Ein Jahr Benedikt XVI.: Wohin führt er die Kirche?

Wenn an der Spitze eines Ministeriums ein Wechsel stattfindet, so warten Beobachter gespannt darauf, wie sich der oder die Neue gegenüber dem eigenen Beamtenapparat durchsetzt. An den Spitzenbeamten, mit Strukturen und Themen über Jahre bestens vertraut, kommt keiner vorbei - sie garantieren die Kontinuität der Arbeit. Um einem Ministerium den eigenen Stempel aufzuprägen, bedarf es entsprechenden politischen Gewichts.

Im Vatikan dürfte es - bei allen Unterschieden zwischen nationaler weltlicher und weltumspannender kirchlicher Macht - nicht unähnlich sein. Diese Vermutung bestätigte sich jedenfalls bei der Begegnung mit einigen hochrangigen Vertretern der römischen Kurie (wozu eine Pressereise vor Ostern Gelegenheit bot): Die einzelnen Abteilungen der Kurie (Staatssekretariat, Kongregationen, päpstliche Räte) arbeiten, wie sie immer schon gearbeitet haben, war die - in entsprechende Rhetorik gekleidete - Botschaft, wenn man nach Unterschieden zwischen Benedikt xvi. und seinem Vorgänger Johannes Paul ii. fragte. Im Unterschied zur Politik ist hier natürlich die innerste Begründung für solche Kontinuität die Treue zum Evangelium: Da sich die Botschaft Jesu Christi als letztverbindlicher Maßstab nicht ändert, bleiben auch Sendung und Auftrag der Kirche gleich.

Für eine angemessene Einschätzung des Wirkens der römischen Kirche ist es vermutlich wichtig, sich diese über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen zu vergegenwärtigen und nicht allein gebannt auf den Mann an der Spitze, den Pontifex maximus, zu schauen. Gleichwohl genügt schon ein kurzer Blick in die Kirchengeschichte, um zu sehen, wie sehr sich die Ausprägungen der Kirche in der Verkündigung ihrer Botschaft verändert haben. Und niemand zweifelt daran, dass mit Kardinal Joseph Ratzinger erstens ein theologisches Großkaliber und zweitens ein mit den vatikanischen Strukturen bestens Vertrauter vor einem Jahr, am 19. April 2005, auf den Stuhl Petri gewählt wurde.

Ihm dürfte es, das lässt sich nach diesem einen Jahr schon sagen, in erster Linie um eine inhaltliche, spirituell-theologische Vertiefung der Glaubensbotschaft zu tun sein. Benedikt will zeigen, dass diese Botschaft einen Entwurf für ein Leben in Freiheit beinhaltet; dass das Humanum nicht durch christliche Moral in seinen Möglichkeiten beschnitten wird, sondern durch die Wegmarken des Christentums erst zu seiner vollen Entfaltung gelangen kann. Vielleicht wird ja einst rückblickend der Titel seiner ersten, auch viele Skeptiker positiv überraschenden Enzyklika in diesem Sinne als programmatisch für das ganze Pontifikat stehen: "Deus caritas est" ("Gott ist Liebe").

Dessen ungeachtet bleiben Fragen nach den Zulassungsbedinungen zum Weiheamt oder der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen auf der Agenda. Man kann diese Dinge als "Sonderwehwehchen" (© M. Fleischhacker in der Presse) abtun - und natürlich bedürfen sie im Wortsinn der Relativierung, der Einordnung in den Gesamtzusammenhang: Nicht nur im Weltmaßstab, angesichts von Hunger, Not und Terror, verlieren sie an Bedeutung, nein, auch in Europa nehmen sie sich vor dem Hintergrund eines sinkenden Grundwasserspiegel des Glaubens oder schwindender Solidaritätsressourcen bescheiden aus. Aber sie lassen sich auch nicht wegdiskutieren oder-beten: Der Priestermangel wird die Kirche ebenso weiterhin beschäftigen, wie die zunehmende Diskrepanz zwischen kirchlichen Geboten und der Praxis (auch überzeugter Katholiken).

Dass die Kirche ihre Faszination gerade daraus beziehe, dass sie als Alternativmodell zur Gesellschaft erkennbar bleibt, ist wohl wahr; aber es ist nicht einzusehen, warum sie durch Adaptionen ihres Regelwerks etwa in den genannten Fragen ihres Mysteriums verlustig gehen sollte. Optimisten wie der Religionssoziologe Paul Zulehner erhoffen sich hier Bewegung durch eine offensichtlich von Benedikt verfolgte Annäherung an die Orthodoxie, die hier "liberalere" Wege kennt. Wer, wenn nicht ein europäischer, ein deutscher Papst sollte für solche und ähnliche genuin europäischen Probleme eine Antwort finden?

rudolf.mitloehner@furche.at

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