Thema: Gut Leben
Martin Luthers Denken kreist, fast obsessiv, um eine einzige Frage: Wie bekomme ich einen Gott, der mich nicht an meinen notwendigerweise unvollkommenen Taten misst? Angesichts der ausufernden Beicht- und Ablasspraxis der spätmittelalterlichen Kirche ist diese Fokussierung nachvollziehbar. Lese ich aber Luthers Texte mit heutigen Augen, kann ich mich zuweilen des Eindrucks nicht erwehren, er sei im Grunde ein Egoist gewesen. Also einer, dem es nicht um das gute Zusammenleben der Menschen, sondern nur um sein persönliches Seelenheil zu tun war.
Trotzdem meine ich, dass der Reformator eine entscheidende Wahrheit neu entdeckt hat, nämlich: Menschen brauchen, wenn sie gut sein wollen, nicht nur gute Gesetze, sondern vor allem Vertrauen, dass das Ganze des menschlichen Daseins einen Sinn ergibt. Dieses Sinn-Vertrauen nannte Luther #Glaube#, den Sinn des Ganzen nannte er #Gott#. Und den Ort, von dem her mir gesagt ist, dass mein Vertrauen kein selbstgemachtes Hirngespinst ist, fand er in der Auferstehung des gekreuzigten Christus.
In der Schrift #Von der Freiheit eines Christenmenschen# hat Luther seine erlösende Wiederentdeckung zum Beispiel in diese Worte gefasst: #Der innerliche Mensch ist mit Gott eins, fröhlich und lustig um Christi willen, der ihm soviel getan hat, und all seine Lust besteht darin, dass er umgekehrt Gott auch in freier Liebe dienen möchte.# Die guten, toratreuen Werke, mein Einsatz für das gute Zusammenleben, #fließen# (Luther) also aus der Zuversicht, dass ich selbst umfassend geliebt bin.
Was bedeutet das sozialethisch? Ich meine, es spricht für ein Modell des guten Lebens, das, nicht zufällig im Gefolge der Finanzkrise, heute immer lauter und immer differenzierter diskutiert wird: das bedingungslose Grundeinkommen.
* Die Autorin ist Germanistin und evang. Theologin in der Schweiz
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