Werbung
Werbung
Werbung

Ein Science-Thriller mit undeklarierter Fiction-Zuwaage

Wenn eine Reihe von international anerkannten Wissenschaftlern im Zuge von außergewöhnlichen Unfällen ums Leben kommt und sich herausstellt, dass sie vor Kurzem an derselben Konferenz teilgenommen haben, dann kann das in einem Krimi wohl nur heißen, dass jemand starkes Interesse daran hat, die Inhalte ebendieser Konferenz geheim zu halten.

Wenn wir weiter erfahren, dass diese früh verstorbenen Geistesgrößen in ihrem jeweiligen Spezialgebiet vor bahnbrechenden Entdeckungen standen, können wir auch davon ausgehen, dass hinter den "Unfällen" höchstwahrscheinlich eine Verschwörung größeren Zuschnittes steckt. Und wenn zu allem Überfluss die Toten auch noch ihrer Gehirne beraubt wurden, erhärtet sich der Verdacht, dass sich hier Kollegen gegenseitig niedermetzeln. Und nicht erst der Titel "Gottes Gehirn" ist notwendig, um uns unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass das alles zum Zwecke eines ehrgeizigen wissenschaftlichen Projektes geschieht.

Der Berliner Schriftsteller Jens Johler und der Kasseler Pädagogik-Professor Olaf-Axel Burow haben sich nicht damit begnügt, einen spannenden Wissenschaftsthriller zu verfassen. Sie werfen in ihrem engagierten Roman auch aktuelle Fragen der Ethik auf und wollen außerdem auch noch einen Einblick in die moderne naturwissenschaftliche Forschung bieten. Johler & Burow schüren keine Ängste, sie propagieren prinzipiell auch keine forschungsfeindliche Haltung, sondern einen kritischen Umgang mit den Möglichkeiten der modernen Technik, der nur durch Information erreicht werden kann. Und es ist ihnen gelungen, Bildung und Unterhaltung zu verknüpfen. Das Konzept von Jostein Gaarders Erfolgsroman "Sophies Welt" ist wieder einmal aufgegangen. Fast.

In "Gottes Gehirn" verfolgen also ein Wissenschaftsjournalist (Troller) und eine Kriminalreporterin (Anderson) die verzweigten Spuren der erwähnten "Unfälle" und stoßen dabei in utopisch anmutende Bereiche der Forschung vor. Unrealistisch sind ihre Ausführungen aber nicht, wie uns die Autoren im Nachwort wissen lassen: "Die Arbeit an diesem Roman war für uns eine faszinierende Reise durch die Welt derjenigen Wissenschaften, die dabei sind, unser Leben grundlegend zu verändern. Handlung und Personen sind frei erfunden, aber Theorien und Tatsachen basieren auf gründlicher Recherche ... Es war für uns immer wieder überraschend festzustellen, wie nahe Science und Science-Fiction inzwischen beieinander liegen. Mag auch manches in unserem Roman utopisch oder spekulativ klingen, das meiste geht nicht wesentlich über das hinaus, was zur Zeit in den Laboren der Zukunft gedacht und gemacht wird."

Und damit wären wir beim eigentlichen Thriller im Thriller.

Nach wenig erfolgreichen Recherchen in Deutschland schnüffeln die beiden Journalisten Troller und Anderson in den USA weiter. Sie wollen einerseits die mutmaßliche Mordserie aufklären, hinter der sie eine explosive Story vermuten, und tarnen ihre Reise andererseits mit Interviews für ein Wissenschaftsdossier. Zwei Fliegen mit einem Schlag. Die Interviews gewinnen Eigendynamik, die Ausführungen der befragten Wissenschaftler sind ebenso fesselnd wie die Krimihandlung, in die die beiden umso tiefer verstrickt werden, je weiter sie in die Materie vordringen. Und eine Liebesgeschichte zwischen den beiden Protagonisten heizt die Spannung weiter an.

Doch dieses Buch ist mit Vorsicht zu genießen. Denn es basiert leider nur das meiste von dem, was sie uns erzählen, auf dem tatsächlichen Forschungsstand, aber keineswegs alles. Dass der Roman am Ende in die Esoterik abdriftet, ist offensichtlich, aber an welcher Stelle nun Realität und Fiktion zu verschwimmen beginnen, wird dem Laien nicht klar. Klingt doch Science heute schon oft genug wie Science-Fiction. Je weiter das Projekt "Gottes Gehirn" fortschreitet, desto irrealer werden die Konsequenzen. Die Welt verändert sich, zunächst positiv. Palästinenser und Israelis schließen Frieden, den Ländern der Dritten Welt werden ihre Schulden erlassen, die Radionachrichten klingen unglaublich. Doch dann befreien sich plötzlich Tiere aus ihren Käfigen, die Ereignisse sind außer Kontrolle geraten.

Die Ambivalenz der Vorgänge unterstreicht zwar noch die Absicht der Autoren, möglichst objektiv zu bleiben und alles konsequent bis zum Ende durchzudenken, aber dies ist wohl auch der Grund dafür, dass der eindeutig tendenziöse Schluss umso mehr stört. Der Leser fühlt sich nicht mehr informiert, er fühlt sich manipuliert, wenn auch aus lauterer Absicht, nur nützt das literarisch freilich wenig. Schade eigentlich. Schade auch, dass die Autoren sich offenbar bemüßigt fühlten, in die Utopie auszuweichen, die wissenschaftliche Realität hätte für einen Thriller durchaus ausgereicht. Wobei natürlich das Spielen mit Fiktion und Wirklichkeit im Genre Tradition hat und für einen Wissenschaftsthriller sicher angebracht ist. Bloß eben nicht unbedingt für einen, der auf dem Konzept von "Sophies Welt" aufbaut. Andererseits ist es legitim, die Möglichkeiten heutiger Wissenschaft weiterzudenken, auch und gerade im Sinne einer pädagogischen Absicht, und die ist bei aller Spannung und Unterhaltung unübersehbar. Was bleibt, ist ein spannender Roman, der Diskussionen auslösen könnte und müsste, die bisher leider ausgeblieben sind. Vielleicht können wir wenigstens diesbezüglich optimistisch in die Zukunft blicken, bevor sich "Gottes Gehirn" die Welt einverleibt.

Wünschenswert wäre ein ausführliches Vor- oder Nachwort, das die Grauzone zwischen Science und Fiction aufhellt. Nun, vielleicht bei der zweiten Auflage, falls es eine gibt.

GOTTES GEHIRN. Roman von

Jens Johler & Olaf-Axel Burow

Europa Verlag, Hamburg 2001

320 Seiten, geb., e 20,42/öS 281.-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung