Verwirrungen an der Strandbar

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So triumphal kann Gaetano Donizettis Melodramma giocoso "L’elisir d’amore“ über die Bühne gehen, wenn die Regie Innovation mit Akribie paart - und auch musikalisch alles stimmt.

Der junge Venezianer Damiano Michieletto hatte bei den heurigen Salzburger Festspielen Giacomo Puccinis "La Bohème“ zwischen Beton und Würstelstand angesiedelt - was nicht nur gefiel; und im Theater an der Wien stemmte er zuletzt Puccinis "Trittico“ mehr als diskutabel. Nun aber die positive Überraschung: Für die Grazer Oper kaufte Elisabeth Sobotka Michielettos schon in Valencia und Palermo erfolgreichen "Liebestrank“ ein, der nicht mehr im bäuerlichen Baskenland von 1830 spielt, sondern irgendwo zwischen ligurischer Küste und Adria von 2012. Die wirklich vielschichtige Produktion, die Melancholie und heutige Härte zusammenzwingt, wird 2013 auch noch Madrid erobern.

Mini-Models und Kokain

Adina, das Objekt der Begierde, ist keine zickige Großbäuerin, sondern Strandbadbewirtschafterin mit Laptop und glitzernder Strandbar. Nemorino, den sie nicht und nicht zu erhören scheint, ist kein Stallknecht, sondern als Bagnino für aufgestellte Liegestühle und Sonnenschirme, saubere Sanddünen und umsichtige Bergung von zum Zerbrechen neigenden Trinkgläsern zuständig. Das Auftauchen des flotten Marinesergeanten Belcore, der gleich an Adinas Taille Maß nimmt, irritiert Nemorino so, dass er den Verheißungen des Energy-Drink-Promoters und Drogen-Pushers Dulcamara erliegt. Und weil er so wie um 1830 nicht genug Geld hat, um eine zweite Flasche Liebestrank zu kaufen, unterschreibt er für einen Pappenstiel von Handgeld als "Freiwilliger“ für die Navy. All dies hebt Damiano Michieletto mit Witz und Esprit aus dem Originallibretto, dem er erst gegen Ende des Spiels zweimal zeitgeistig Zwang antut: Muss einer, der mit Träumen und Begierden aller Art, mit Mini-Models und Kokain dealt, auch noch eine Transvestitenshow anbieten? Ist der finale Einfall, dass zwei Drogenfahnder samt Drogenschäferhund an Dulcamaras Stelle, der auf einer gestohlenen Vespa das Weite sucht, den Sergeanten Belcore, dem Dulcamara ein Päckchen unterschoben hat, verhaften, vielleicht doch zuviel des Guten?

Eher nein, weil dieser originelle Nachweis handwerklicher Bravour vom vollen Haus lauthals, ja sogar pfeifend wie bei einem Popkonzert, akklamiert wird. Wie viele feine Gedanken sich die Regie sogar noch um die an Nemorino durchaus interessierte Barfrau Giannetta macht, sei hier nur der Vollständigkeit halber festgehalten. Paolo Fantins vollgeräumte Strandidylle und Silvia Aymoninos Kostüme besitzen optischen Witz. Alessandro Carlettis Lichtgestaltung fokussiert behutsam auf ariose Höhepunkte.

Musiziert wird entsprechend feinfühlig. Der junge Spanier José Miguel Esandi setzt auf subtile Holzbläser, durchhörbare Tutti und stark rhythmisierte Chöre, trägt die Solisten sicher zum Erfolg. Antonio Poli hat das simple Gesicht, die liebenswerte Statur und die sichere Höhe und belcantistische Finesse für "Una furtiva lagrima“ des Nemorino. Margareta Klobuˇcar ist optisch wie akustisch verlockend: ein blonder Vamp von Adina mit üppiger Kurvenlage, kein Hochton, keine Verzierung geht da fremd.

Durst auf weitere Liebestränke

Baritonentdeckung Andrè Schuen scheut keinen Körpereinsatz als Strand-Don-Giovanni. Wilfried Zelinka gibt einen durchaus abgründigen Genussmittellieferanten Dulcamara. Wie sich alle Choristen ins Musik- und Pantominengefüge als Ballermänner schmiegen, ist heutzutage schon sehenswert. Der Jubel in der Grazer Oper ist nicht endenwollend. Eine etwas jüngere Zweitbesetzung der Adina mit der schönen Perserin Nazanin Ezazi und des Nemorino mit dem marokkanischen Tenors Abdellah Lasri macht Durst auf weitere "Liebestränke“.

Weitere Termine

28. November, 1., 6., 9., 12., 18. Dezember

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