Veza Canetti fürs Theater entdeckt

Werbung
Werbung
Werbung

Unmittelbar nach der ersten Verleihung des Veza-Canetti-Literaturpreises an Olga Flor Anfang Oktober (s. FURCHE 40/14), wird die Autorin nun auch auf ihre Bühnentauglichkeit geprüft. Canettis bekanntester Roman "Die Gelbe Straße" ist seit letztem Sonntag von Helmut Peschina dramatisiert am Wiener Kabinetttheater zu sehen. Der Text eignet sich hervorragend für die Bühne, zeichnet sich der Roman durch sein besonderes Figuren-Personal aus.

Kröte, Lämmchen und Schwein

Veza Canetti beschreibt den Mikrokosmos der gelben Straße (Ferdinandstraße) in der jüdischen Leopoldstadt der Zwischenkriegszeit. Sie überzeichnet dabei die Charaktere und überhöht ins Groteske. Schon der Titel "Die Gelbe Straße" verknüpft die Farbe der Lederwaren - damals waren viele Lederhändler in der Leopoldstadt angesiedelt - mit der von Neid, Habgier und Zorn gefärbten Atmosphäre der kleinen Gemeinschaft. Aber auch das Gelb der Sonne, deren Strahlen immer wieder auf die "Mondsüchtigen, Verrückten, Verzweifelten und Satten" einwirken, assoziiert Canetti in den miteinander verwobenen Geschichten.

Intendantin Julia Reichert hat die Rollen ins Tierreich "übersetzt", sie konturiert nicht nur die Eigenschaften der Figuren, sondern auch deren soziale Rollen: Da ist einerseits die Hauptfigur, die neidische Geschäftsfrau Frieda Runkel - als Kröte gezeichnet. Ihre liebenswürdige Angestellte Lina ist ein entzückendes Lämmchen, Herr Vlk tritt als kettenrauchender Wolf auf, der die Straße und ihre Bewohner überwacht, die Dienstvermittlerin (oder besser: Mädchenhändlerin) Hatvany ist ein Schwein in nationalsozialistischem Outfit. Herr Tiger macht seinem Namen alle Ehre. Nur die feine Dame Andrea Sandoval wird von Martina Spitzer als Frau verkörpert.

Satirisch-klug überhöht die Inszenierung nicht nur die Charaktere, die mehrteilige Bühne löst die Darstellung der Schauplätze einfallsreich: So ist die gelbe Straße aus der Vogelperspektive zu sehen, aus welcher die Zuseher von "weit oben" etwa Zeugen des Unfalls an der kleinen Kreuzung werden. Links und rechts spielen flankierend die Szenen in den Geschäftslokalen, davor musizieren Joanna Lewis an der Geige und Max Nagl am Saxophon. Viele schräge Töne machen die äußeren Zwänge in Verbindung mit dem übermächtigen Innenleben der Figuren bewusst. In der Regie der Canetti-Kennerin und Literaturwissenschaftlerin Alexandra Millner verbinden sich die Künste hier zu einem Ganzen, das Veza Canettis scharfe Beobachtungen und Warnungen erfasst: nämlich wohin Egomanie, Faschismus und Kapitalismus führen.

Die gelbe Straße

Kabinetttheater

30., 31. Oktober, 1., 2. November, 4., 6., 7. Dezember

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung