
Videothek: Die vergessene Welt der Silberscheiben
Videotheken waren früher an jeder Ecke zu finden. Heute sind sie ein rares Relikt einer vergangenen Zeit. Skizzen von einem Ort, an dem cineastisch die Zeit stehengeblieben ist.
Videotheken waren früher an jeder Ecke zu finden. Heute sind sie ein rares Relikt einer vergangenen Zeit. Skizzen von einem Ort, an dem cineastisch die Zeit stehengeblieben ist.
Es ist ein unscheinbares, kleines Geschäftslokal am Bahnhofsplatz in Krems an der Donau. Vor der Tür steht eine Schütte randvoll mit bunten DVDs. „2,50 Euro pro Stück“ – steht auf einem handgeschriebenen Schildchen, dessen Neongelb den Besucher an die Blüte der 1980er-Jahre mit ihren Aerobic-Leggings erinnert. Aber das ist nur ein Vorzeichen, denn schreitet man durch das einladend offenstehende Portal, tritt man gleich als Ganzes eine Zeitreise in die Zeiten von Vokuhila und Yuppies an: zurück an einen Freitagabend im Jahr 1989, als man nach einer anstrengenden Schulwoche mit den Eltern in die Videothek ging und das Wochenend-Programm aussuchen durfte. Zwei Filme, eine Flasche Cola und ein Packung Popcorn – das Einser-Menü der Generation Golf.
Hier stehen sie nun, die DVDs nach Filmtiteln fein säuberlich geordnet, auf langen Regalfluchten mit jeweils einem roten Schlüsselanhänger mit Nummer darunter. Arnold Schwarzenegger ist hier noch der unbesiegbare „Terminator“, „Rocky“ boxt sich den Ring frei und die Velociraptoren im „Jurassic Park“ warten auf ihre Chance auf den Ausbruch. Die roten Anhänger sind ein Signal: Will man einen Film leihen, nimmt man den Anhänger und lässt sich die DVD ausfolgen. Die Hülle mit dem Cover aber bleibt, wo sie ist. Kein roter Anhänger am Haken unter der Hülle bedeutet, dass der Film gerade verliehen ist und man sich leider etwas anderes aussuchen muss. Es fehlen nicht sehr viele Anhänger an diesem freundlichen Sommertag.
Hinter einem hohen Tresen thront Elke Joksch. Sie ist der „Herr der Silber-Ringe“, wacht also über mehr als 7000 DVDs. So viele, dass gar nicht alle in die Regale passen. Etliches lagert in den breiten Laden hinterm Tresen. „Ich mache das jetzt seit 35 Jahren“, sagt Joksch nicht ohne Stolz. „Und bin immer noch da für meine Kunden. Also, die paar, die ich halt noch habe“, bemerkt sie mit einem Lächeln. Sie muss das Gespräch kurz unterbrechen, denn ein junger Mann mit Vollbart und Mütze betritt die „Vergessene Welt“ am Bahnhofsplatz. Aber nicht etwa, um einen Film zu leihen, er holt sich ein Paket, das hier für ihn abgegeben wurde.
Früher, als das Geschäft noch besser lief
Sie kennt den jungen Mann – auch seine Mutter war hier schon Kunde. Früher, als das Geschäft noch besser lief. „Wenn ich den Paketdienst nicht hätte, wüsste ich nicht, was ich machen soll“, sagt Frau Joksch. Seit mehr als zehn Jahren ist sie nebenbei auch ein „Hermes“-Paketstore. Ausfolgen – lagern – versenden. So nützt sie die Zeit, die sie im Geschäft zwischen „Dune“ und „Findet Nemo“ steht, um – eigentlich – auf Filmfreunde zu warten.
Denn das Herz von Frau Joksch gehört ihren Filmen. In 35 Jahren hat sie alles miterlebt: die ersten Videorekorder, das Entstehen des Video-Booms, als Videotheken wie die Schwammerln aus dem Boden schossen. Und die großen Ketten mit ihren Dutzenden Lokalen in ganz Österreich. Dann den Umstieg auf DVD und später Blu-ray und die Computerspiele, die heute kein Mensch mehr leiht. Alles längst online, nur noch zum Herunterladen. Wer heute ein Konsolen-Spiel kauft, kauft nur mehr einen Code. Einen Datenträger, wie die tausenden silbernen Scheiben, die hier lagern, gibt’s da kaum mehr.
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