Viel Lärm um ein paar Farbpigmente

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Hinter einem 450 Jahre alten Wandgemälde in Florenz soll sich ein Fresko von Leonardo da Vinci verbergen. Eine vermeintliche Sensation - doch Kunsthistoriker protestieren gegen die Freilegung.

Es sind sechs kleine Löcher, die den Zorn der wissenschaftlichen Gemeinschaft erregen. Fachmännisch angebracht, vom Laien nicht zu entdecken. Und doch eine nicht wieder gutzumachende Beschädigung eines 450 Jahre alten Kunstwerkes im "Saal der 500“ (Salone dei Cinquecento) im florentinischen Palazzo Vecchio. Opfer der Aktion ist das Wandgemälde "Die Schlacht von Marciano“ von Giorgio Vasari. Dahinter soll sich ein verschollenes Fresko von Leonardo da Vinci befinden.

Ein Mythos, der vor allem von der schillernden Figur des Maurizio Seracini gepflegt wird. Der gebürtige Florentiner leitet das Center for Interdisciplinary Science for Art, Architecture and Archaeology an der Universität von Kalifornien in San Diego. Ein ausgebildeter Elektroingenieur, dessen Spezialität die Anwendung moderner Technologien zur Analyse von Kunstwerken ist. Mit Thermokameras, Radar und Neutronenscanner hat Seracini den Raum in der Vergangenheit bereits untersucht. Dabei entdeckte er schmale Hohlräume hinter Vasaris Gemälde. Dies deutete er als Hinweis darauf, dass Vasari vor Beginn seiner Arbeit eine Zwischenwand eingezogen hätte, um den dahinter liegenden Leonardo zu bewahren. Es könnte sich dabei aber auch einfach um die damals übliche Präparation einer alten Wand handeln, kontern Kritiker. Nun erhielt Seracini die Genehmigung zum Bohren und zur Entnahme von Proben.

Sein Team entdeckte hinter Vasaris Gemälde tatsächlich alte Farbpigmente. Doch das ist bei einem florentinischen Gebäude aus dem 14. Jahrhundert nichts Außergewöhnliches. Dass die Pigmente chemisch jenen ähneln sollen, die Leonardo bei der Mona Lisa verwendet hat, bedarf noch unabhängiger Bestätigung. Hunderte Kunsthistoriker aus aller Welt haben eine Petition unterschrieben, die Arbeiten an Vasaris Gemälde unverzüglich einzustellen. Ihr Argument: Aus Sicht der Denkmalpflege ist es unverantwortlich, ein Kunstwerk zu zerstören, um ein anderes freizulegen.

Die Affäre um den "verschollenen Leonardo“ verknüpft auf verstörende Weise Geschichte und Kunst mit medialer Inszenierung und einer Freude am Geheimnisvollen, wie man es aus einschlägiger Trivialliteratur im Stil eines Dan Brown kennt. Immerhin - die Story ist gut. Fakt ist, dass Leonardo da Vinci an einem verregneten Freitagmorgen im Juni 1505 mit der Arbeit an seinem Fresko "Die Schlacht von Anghiari“ begann. Es sollte die 65 Jahre zuvor geführten Kriegshandlungen zwischen Florenz und dem Herzogtum Mailand darstellen. Leonardo bediente sich einer experimentellen Technik, die Ölfarben statt in Kalkwasser gelöster Farbpigmente verwendet. Zum Trocknen verwendete der Künstler Feuer. Doch Leonardo bekam die neue Technik nicht in den Griff, 1506 beendete er seine Arbeit unvollendet. Man kennt weder Umfang noch Qualität der Fragmente. Auch an welcher Wand sie sich befanden, steht nicht zweifelsfrei fest.

Keine Spur von Leonardos Werk

Jahre später, 1563, begann der Künstler Giorgio Vasari mit der Neugestaltung des Raumes, der heute zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten in Florenz zählt. Leonardos Arbeit hat seither niemand mehr zu Gesicht bekommen. Es sind keine Originalskizzen erhalten. Lediglich eine von Rubens angefertigte Kopie gibt eine Ahnung von der monumentalen Schlachtszene, in deren Zentrum menschliche Figuren und Pferdekörper zu einem martialischen Scharmützel verschmelzen. Hat Vasari die Fragmente Leonardos einfach übermalt? Das vermuten die meisten Kunsthistoriker. "Als Vasari den Salone dei Cinquecento gestaltete, war Leonardo bereits eine der größten Künstlerlegenden“, sagt Raphael Rosenberg, Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Vasari darüber gemalt hätte, wenn etwas Bewahrenswertes von Leonardo da gewesen wäre.“ Zudem war Vasari damals einer der wenigen, die die Strappo-Technik beherrschten, mit der Fresken ohne Zerstörung von der Wand entfernt werden können.

Von einem Rätsel will der Wissenschafter Rosenberg nichts wissen. Für ihn verbinden sich in der Causa zwei Sachverhalte, die in der Kunstgeschichte durchaus keine Seltenheit darstellen. "Es kam erstens immer wieder vor, dass großartige Entwürfe und Planungen nicht oder nur unvollständig ausgeführt wurden“, erklärt er. "Zweitens gingen immer wieder großartige Werke durch Zerstörung verloren oder wurden später übermalt oder verdeckt.“

Für Unmut sorgt bei Fachleuten der offenkundige Versuch, den Namen Leonardos für Tourismus und Profit zu instrumentalisieren. So erklärte der florentinische Bürgermeister Matteo Renzi einer italienischen Tageszeitung ganz explizit: "Das ist sehr aufregend, sehr emotional und sehr wichtig für die Zukunft unserer Stadt.“

Renzi ist einer der stärksten Unterstützer von Seracinis Projekt und bereits mehrfach durch kuriose Ideen aufgefallen. So wollte er der Kirche San Lorenzo eine neue Marmorfassade spendieren - nach Plänen von Michelangelo, die dieser nie verwirklicht hat. Geschäftssinn beweist der Bürgermeister durch den Verkauf der exklusiven medialen Erstverwertungsrechte einer möglichen Freilegung des Leonardo-Fresko an das amerikanische Verlagshaus National Geographic - um kolportierte 250.000 Euro. Auch dass Seracini seine Theorien nur über die Medien veröffentlicht, sich aber nicht dem wissenschaftlichen Diskurs in Fachjournalen stellt, gefällt der scientific community gar nicht.

Die Beweislage ist jedenfalls dürftig, zuweilen sogar zweifelhaft. So interpretiert Seracini den kleinen Schriftzug "Cerca, Trova“ (wörtlich: Suche, finde) auf Vasaris Gemälde recht eigenwillig. Er soll ein Hinweis Vasaris für spätere Generationen sein, sich auf die Suche nach Leonardos verschollenem Gemälde zu machen. Unsinn, kontern Fachleute. Der Text sei wohl eher das Wappenmotto eines adeligen Kriegers, der auf dem Gemälde abgebildet ist. "Solche Gedanken waren der damaligen Zeit fremd“, sagt der Wiener Kunsthistoriker Golo Maurer. "Das Spiel mit Rätseln und Geheimnissen entsteht erst in der englischen Romanliteratur des 19. Jahrhunderts.“

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass bedeutsame Reste von Leonardos Fresko hinter der Wand über die Jahrhunderte erhalten geblieben sind. Doch selbst wenn das der Fall wäre, sprechen sich die meisten Kunsthistoriker gegen eine Freilegung aus. "Damit würde man den Raum in einen Zustand versetzen, der völlig ahistorisch und rein museal ist“, sagt Maurer. "Alle Objekte haben ihre eigene Geschichte, man kann sie nicht gegeneinander ausspielen“, meint auch Renate Holzschuh-Hofer vom österreichischen Bundesdenkmalamt. "Eine Bewertung spiegelt sehr stark immer die heutige Sicht und ist nur mit wissenschaftlicher Untermauerung zulässig.“

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