Vielfalt und Lebendigkeit

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Freie Gruppen und kleine Bühnen sind für eine Kulturstadt wie Wien lebensnotwendig.

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Freie Gruppen und kleine Bühnen sind für eine Kulturstadt wie Wien lebensnotwendig.

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Nicht über die eigene Nase hinausblickend, werke jeder für sich hin. Einst historische Heimstatt avantgardistischer Theatermodelle, erschöpfe sich die Freie Theaterszene heute in Beliebigkeiten, habe nichts mehr zu sagen und zu zeigen als die ewige Reproduktion von Klischees. Derartige Kritik an Wiens "Freien" wiederholt sich in beständiger Regelmäßigkeit. Allzugerne richtet sich hierzulande der Blick nach hinten auf die politische Aufbruchstimmung im Sog der 68er-Bewegung und auf die Begeisterungsfähigkeit der ersten Stunde, als Vorbilder wie der polnische Theaterguru Jerzy Grotowski und die New Yorker "Off-Off-Theatre"-Gruppen "Living Theatre" und "La Mama" die experimentielle Arbeit der damals noch kleinen Freien Theaterszene bestimmten. Es braucht nicht viel Voraussicht, um zu erahnen, daß sich in einigen Jahren ein österreichisches Phänomen wiederholen und die Theaterhistoriker trotz gegenwärtiger Unkenrufe bunte Vielfalt und Lebendigkeit orten werden.

Die heuer mit 58,5 Millionen Schilling subventionierte Freie Theaterszene (zum Vergleich: die drei Häuser der Vereinigten Bühnen Wien werden mit 217,5 Millionen finanziert) umfaßt in Wien, mit geschätzten 100 Gruppen und vielen kurzfristigen Produktionsgemeinschaften das nahezu gesamte Musik- und Tanztheater außerhalb von Oper und Volksoper, alle Kindertheatergruppen jenseits des Theaters der Jugend, das in Österreich noch sehr junge Objekt- und Figurentheater und nicht zuletzt die freien Sprechtheatergruppen. Sie alle agieren in einer fragwürdigen, von finanziellen Nöten und sozialen Unsicherheiten durchdrungenen Freiheit, in der ein Diskurs um künstlerische Qualität ständig begleitet von Strukturproblemen: Etwa dem Mangel an leistbaren Probenräumen und Lagerräumen, der Verschiebung einer Künstlersozialversicherung bis zum Jahr 2000, der Problematik der Regelung von Arbeitslosigkeit und Nebenverdienst (bei einen Zusatzverdienst von 3.740 Schilling verliert man Arbeitslosengeld und Versicherungsanspruch) und insbesondere der Kampf und die Querelen um Spielorte (Rondell, Remise, Jesuitentheater).

Unter der ehemaligen Kulturstadträtin Ursula Pasterk zur heutigen Blüte gebracht - insbesondere der Opern- und Tanzszene gelang ein beachtlicher Aufschwung - geriet das gutgemeinte "Gießkannensystem", das (zu)viele mit (zu)wenig Mitteln förderten, ironischerweise zum finanziellen Desaster für einzelne. Von Kulturstadtrat Peter Marboe wurden im letzten Jahr neue Wege eingefordert, und die ersten Schritte scheinen vielversprechend. Zunächst kam im Herbst als Neubeginn die Entschuldung mehrerer Wiener Theater (und auch freier Gruppen), um allen Theaterhäusern die Chance zu geben, bei Stunde Null zu beginnen" (Marboe).

Der Plan eines Theatertages, der den Publikumsschwund von 1996 - 100.000 Besucher weniger - entgegenwirken soll, folgte. Dann kam eine kleine Sensation: Drei-Jahres-Pläne für jene Wiener Theater, die das wollen. Von ihm selbst "Quantensprung" bezeichnet und der IG-Freie Theaterarbeit als etwas "was wir schon jahrelang gefordert haben" erleichtert aufgenommen, wird damit jene Situation beendet, die Theaterleiter manchmal an den Rand der fahrlässigen Krida brachte, weil Zusagen in der Regel zu spät kamen, Verträge abgeschlossen werden mußten, ohne zu wissen ob sie auch eingehalten werden können. Mit den Drei-Jahres-Plänen soll nun verantwortungsvolle Vorausplanung möglich werden.

Besonders wichtig ist das für die Freien Gruppen, die doppelt bangen mußten, während "festen" Häusern auch schon früher eine Weiterfinanzierung nicht verweigert wurde. Im Februar sollen die mit einigen Theatern schon abgeschlossenen Vorverträge vom Gemeinderat abgesegnet werden und nach zwei Jahren evaluiert und neu diskutiert werden.

Veränderungen zeichnen sich auch bei den Endlosthemen "Opern- Tanz- beziehungsweise Kindertheaterhaus ab. Kulturstadtrat Marboe ist es nicht nur gelungen, als vorläufige Lösung für die Kindertheater im Residenzkino einen Theaterraum zu schaffen, sondern kündigt unter der großen Veranstaltungshalle im Museumsquartier auch einen Theaterraum an, der vor allem der bedrängten Tanzszene zur Verfügung stehen soll. "Ein Schritt in die richtige Richtung, die uns hilft, viele Probleme zu entschärfen, die es derzeit gibt", läßt Nikolaus Selimov vom Tanztheater Homunculus Freude erkennen und hofft, daß es auch noch die Infrastruktur mit Proben- und Trainingsräumen dazu geben wird.

Ungewohnt problemlos scheint sich derzeit zwischen der Gemeinde Wien und den Freien Gruppen eine Gesprächsbasis zu entwickeln, die nicht zuletzt mit Peter Marboes offener Haltung zu tun hat. "Theater ist lebenswichtig für eine Kulturstadt wie Wien", formuliert der Kulturstadtrat sein Credo, "wir sind im Vergleich mit anderen Städten im Theaterbereich weit vorne, aber um das zu halten und um im internationalen Wettbewerb zu bestehen und sozusagen die Kreativität immer wieder zu erneuern, brauchen wir ungebundenes, nicht institutionalisiertes Theater. Diese Rolle spielen die Freien Gruppen, sie sind das gedankliche Off und Off-Off-Broadway, wo Dinge entstehen und sich entwickeln. Deshalb sind sie in einer Theaterstadt wie Wien unersetzlich". Es bleibt zu hoffen, daß er einerseits als Vertreter der drittstärksten Fraktion im Gemeinderat, seine hochfliegenden Pläne (auch ein Opern-Tanzhaus auf der Donauplatte scheint ihm nicht unmöglich), durchsetzen kann und andererseits das derzeitige, den "Freien" freundliche Klima anhält.

Entschuldungen Totales Theater (Kupferblum) 550.000,- Gruppe 80 (Illich, Wiesner) 500.000,- Tanzatelier Prantl 500.000,- Theater Bureau (Bruckmeier) 600.000,- Interkulttheater (Güzel) 1,757.000,- Kleine Komödie (Siderits) 3.000,000,- Serapionstheater (Piplits) 2,100.000,- Ensembletheater (Haspel) 4.000.000,- Auerspergtheater (Desy) 1,100.000,- Wr.Ensemble (Welunschek). 2,500.000,-

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